SWR2 Wort zum Tag

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„Dezentrierung" ist kein deutsches Wort. Aber so lässt sich das französische Wort „décentration" ohne umständliche Umschreibung ins Deutsche bringen. In Frankreich taucht dieses Wort décentration in den letzten Jahren häufig im kirchlichen Bereich auf. Es bringt eine Akzentverschiebung im Verständnis der Kirche auf den Punkt.
Aber auch allgemein ist „„Dezentrierung"" ein für die Franzosen sofort verständliches Wort. Da verschiebt sich etwas und lässt Beziehungen glücken. Ein Mensch, der sich selbstverstäändlich als Zentrum seiner Entscheidungen und seines Handelns sieht, erlebt üüberrascht, dass etwas an ihm geschieht, was er nicht vorgesehen und nicht geplant hatte. Er weißß: ich habe selbst nichts zu dem beigetragen, was an mir geschieht. Ein anderer Mensch, ein überraschendes Ereignis stehen im Zentrum; staunend und voll Freude stellt jemand fest, dass er beschenkt wurde. Eine beglückende Erfahrung!
Eben dies meint „„Dezentrierung"": die freudige Entdeckung, dass sich an uns etwas Wesentliches und Schönes ohne unser Zutun ereignet. Es ist wie ein Ortswechsel, einer, füür den wir dankbar sind: Dezentrierung heißßt, Ja sagen zum eigenen Ortswechsel aus der Mitte an den Rand. Es kommt darauf an, diese grundlegende Verschiebung dankbar anzuerkennen. Denn daran hängt das Glück einer Beziehung; daran hängt auch die gute Zukunft einer Kirche, die ihrem Wesen und ihrem Ursprung immer deutlicher treu werden will.
Denn diese Entdeckung, in ungeahnter Weise beschenkt zu werden, gilt ja gerade für die Kirche. Es ist nur allzu leicht, diese Tatsache immer wieder aus den Augen zu verlieren. Das Zweite Vatikanische Konzil hat aber vor 50 Jahren genau das wieder entdeckt. In diesem Konzil ist der Kirche wieder das Glück bewusst geworden, dass sie nicht selber im Zentrum des Geschehens steht. Stimmt das? Die Kirche wääre nicht die Handelnde? Ist es nicht die Kirche, die betet, die feiert, die predigt, die verküündet, die lehrt und die Gutes tut? Ja, sie ist es! Eben diese Kirche, die betende und feiernde, verküündende und liebende Kirche ist aber nicht selber der Ausgangspunkt ihrer Existenz. Und sie ist auch nicht das Ziel ihrer Existenz.
Ursprung und Ausgangspunkt ihrer Existenz ist das Evangelium Jesu Christi; Ziel ihrer ganzen Existenz sind die Menschen, ist die Welt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13860
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