SWR2 Wort zum Tag

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50 Jahre sind seit Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils im Oktober 1962 vergangen. Deshalb habe ich jetzt mit großer Freude erneut die Texte des Konzils gelesen und vor allem auch die Reden Papst Johannes XXIIII., der dieses Konzil einberufen hat. Dabei ist für mich die folgende Idee immer klarer geworden: Der springende Punkt bei diesem Kirchenereignis liegt nicht so sehr in der einen oder anderen Aussage. Das Besondere ist, wie zunächst ein einzelner, Johannes XXIII., im Grund nichts anderes tut, als der eigenen Eingebung zu glauben, und wie er dann diese Eingebung nicht etwa füür sich behält, weil sie so unerwartet, so unrealisierbar, aufwändig und riskant erscheint. Johannes XXIII. teilt diese Eingebung mit, und zwar immer wieder, und bald öffentlich und so, dass sich diese Form der Kommunikation ihrerseits mitteilt. Sie ergreift nach und nach Besitz von den Menschen, zunächst von den Bischöfen der ganzen Welt, und schließlich von Menschen in allen christlichen Konfessionen.
Diese Weise der Mitteilung, von einem geistbegabten Menschen zu anderen in der Kirche, nennen wir Konziliarität. Und das scheint mir der springende Punkt zu sein. Die Wende, die das Konzil für die Kirche gebracht hat, besteht nicht in bestimmten Aussagen, sondern in der Konziliarität: Das Wesen der Kirche zeigt sich demnach in Austausch und Gespräch. Und alle, die dieses Gespräch führen, sind dabei offen für das Wirken des Gottesgeistes. Austausch und Gespräch prägen die Beziehungen unter denen, die der Kirche angehören. Zugleich gelten sie aber auch für die Beziehungen der Kirche nach außen, zu Andersdenkenden und Andersglaubenden.
Das bisherige als Pyramide vorgestellte und auf die Hierarchie zentrierte Kirchenbild wird ausdrücklich korrigiert. Konziliarität meint, dass die Freiheit und Würde aller Getauften anerkannt werden, ihre Fähigkeit und ihr Recht, gemeinsam füür den christlichen Glauben den Ausdruck zu suchen, der ihrer jeweiligen Zeit entspricht. Zugleich betrifft Konziliarität das Verhältnis der Kirche zu Andersdenkenden und Andersglaubenden. Der Konzilstheologe Karl Rahner drückt es so aus: „Der Gott, von dem die Kirchen reden, ist eine Angelegenheit, bei der grundsätzlich alle mitreden können und bei der deshalb auch alle gehört werden müssen. ... Kirche und Theologie müssen bereit sein, in Sachen ihres Gottes mit allen zu sprechen, auf alle zu hören, mit allen zu streiten. ... Es geht sozusagen um das Menschenrecht der Gottesbegabung des Menschen, auch des sogenannten modernen Menschen."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13859
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