SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Das Reh springt hoch, das Reh springt weit, warum auch nicht, es hat ja Zeit.
Acht Frauen und drei Männer halten sich an den Händen und wiegen sich zum Takt von diesem Gedicht von Heinz Erhard. Man sieht, dass es ihnen Spaß macht und das passiert selten, weil sie alle unter Demenz leiden. Aber Lars Ruppel erreicht sie trotzdem.
Lars Ruppel, 26 Jahre alt, ist Poetryslammer. Das heißt, er schreibt Gedichte und inszeniert sie- sehr witzig auf der Bühne. Oder geht in Schulen, Betriebe, Altersheime- und dichtet mit den Leuten dort. Weil es Spaß macht und so schön klingt. Weil Gedichte wärmen, trösten und wach machen können. Ja wirklich. Es gibt Gedichte, die machen richtig lebendig.
Einmal habe ich einen alten Mann kennengelernt, der hat sich ständig im Altersheim verlaufen, ein bisschen dement halt. Sein ganzes Leben war auf Achse, als Flüchtling, als Monteur nach dem Krieg. Und jetzt sitzt er bei mir in einer Andacht. Als wir ein Lied singen, in dem es auch ums Unterwegssein geht, da wacht er plötzlich auf und singt mit:
„Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt,
der allertreusten Pflege, des, der den Himmel lenkt.
Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn,
der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann."
Nach der dritten Strophe hat er dann allein weitergesungen. Alle 12 Strophen. Auswendig. Dann hat er sich freudestrahlend aufgerichtet und alle waren hin und weg.
Seither weiß ich: Es gibt eine Sprache, in der ist ganz viel Gott. Weil sie wärmt und schützt und lebendig macht. Wie schön, wenn man davon was mit sich rumtragen kann. Weil man es irgendwann auswendig gelernt hat. Wer das nicht hat, kann ja mal mit Heinz Erhard anfangen: Das Reh springt hoch, das Reh springt weit, warum auch nicht, es hat ja Zeit.

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