SWR3 Gedanken

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Kain schlägt seinen Bruder Abel tot. An die Geschichte aus der Bibel erinnere ich mich noch genau. Im Kindergottesdienst damals habe ich mit staunenden Augen und offenem Mund dem Pfarrer zugehört. Unglaublich, was der erzählt hat: Zwei Brüder konkurrieren miteinander und jeder will besser sein als der andere. Warum lässt Gott das zu? Und warum können sie nicht im Frieden miteinander leben? Habe ich mich als Kind schon gefragt.
Martin und Brigitte sind auch Geschwister. Jahrelang haben sie nichts miteinander zu tun gehabt. Martin war immer Mutters Liebling. Hat Abitur gemacht und studiert und leitet heute einen kleinen Handwerksbetrieb. Brigitte hat einige Zeit gebraucht, bis sie einen passenden Beruf und einen passenden Mann gefunden hat. Die beiden haben sich über die Jahre auseinandergelebt. Bei Familientreffen haben sie sich meist angeschwiegen. Richtig Streit hat es nie gegeben. Nein, umbringen hätten sie sich nicht können. Aber sie haben sich auch nie richtig füreinander interessiert. Immer hält die Mutter zu Martin, nie kann ich es ihr recht machen, hat Brigitte oft gedacht. Lob oder anerkennende Worte? Fehlanzeige. Aber darüber haben die beiden nie gesprochen.
Als ihre Mutter stirbt, sitzen die beiden eine ganze Weile allein im Garten ihres Elternhauses. Zuerst schweigen sie sich an. Dann fragt Brigitte ihren Bruder: „Bist du zufrieden, mit dem, was du im Leben erreicht hast?" - Nein, sagt der Bruder ganz spontan „Ich habe dich immer dafür bewundert, dass du deine Freiheit gehabt hast und etwas aus deinem Leben gemacht hast. Ich hab immer nur das getan, was andere von mir erwartet haben. Und dabei hab ich vergessen zu leben". Und dann endlich, endlich erzählen sich die beiden von ihren Wünschen und Träumen. Und sie entdecken auf einmal, wie vieles sie doch gemeinsam haben. Manchmal braucht es Zeit, sich zu versöhnen. Dafür ist es aber nie zu spät.

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