Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Mein schönster Urlaubstag war der, an dem ich nichts gemacht habe.
Das heißt keinesfalls, dass alle Aktivitäten in den beiden Ferienwochen frustrierend waren. Ich war in den Bergen, in Südtirol. Dort habe ich viel Schönes erlebt: Wunderbare Touren mit faszinierenden Ausblicken, tolle Begegnungen mit interessanten Leuten. 
Aber der schönste Urlaubstag war der, an dem ich nichts gemacht habe. An dem ich einfach so dasaß. Ich bin mit der Seilbahn auf 2300 m gefahren. Von der Bergstation stieg ich nur noch ein kleines Stück höher, damit ich in Ruhe für mich allein sein konnte. Ich fand einen Felsabsatz, auf dem ich sicher und gemütlich sitzen konnte. Und da saß ich dann. Von 11 Uhr morgens bis 5 Uhr am Nachmittag. Einfach so. Von Langeweile keine Spur. Die sechs Stunden waren eine sehr gefüllte Zeit. Obwohl ich nichts gemacht habe. Oder vielleicht gerade deshalb? Ich saß da und habe es mir gut gehen lassen. Die Stille um mich herum ist auf mich übergegangen. Je länger ich dasaß, desto ruhiger ist es auch in mir geworden. Ich habe gespürt, dass ich dann anders da war. Ich habe nichts gemacht, sondern alles einfach auf mich wirken lassen. Ich saß da wie „auf Empfang geschaltet", aufnahmebereit mit allen Sinnen - um das wahrzunehmen, was sich mir zeigt. Vor mir in der wunderbaren Bergwelt - und auch in mir, in meiner Innenwelt. Ich habe mir nicht aktiv „die Gegend angeschaut", sondern habe mich von ihr ansprechen, anrühren lassen. Ich habe mir nicht „Gedanken gemacht", sondern habe das, was in meinem Inneren aufsteigen wollte, kommen lassen. Leben im Lassen-Modus statt im Machen-Modus. Und dann kam auch so manches in mir hoch, was unter dem Teppich des Alltagsgetriebes untergegangen war. Frohe und düstere Empfindungen. Gedanken und Gefühle, die auch für die Zeit nach dem Urlaub wichtig waren. Einiges davon habe ich in meinem Tagebuch aufgeschrieben. 
Dieser Tag hat mir richtig gut getan: Einfach da sein, nicht „müssen", nicht "machen", sondern loslassen, empfänglich sein, kommen lassen. Ich hoffe, dass ich mir etwas von dieser Grundhaltung auch für den Alltag bewahren kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13702
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