SWR2 Wort zum Tag

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Ich finde Propheten oft unbequem. Sie auch? Moment, werden Sie jetzt vielleicht denken: Propheten - gibt es die heute noch? Ich glaube schon. Prophetinnen und Propheten von heute, das sind unbequeme Männer und Frauen, die sich ganz und gar für eine Sache einsetzen, um einer besseren Zukunft willen.
Ich denke an den Physiklehrer an der Schule, an der ich Religion unterrichtet habe. Gerade ist er in den Ruhestand verabschiedet worden. Vor Jahrzehnten wurde er unverhofft zum Umweltbeauftragten der Schule - und musste sich auf Fortbildungen mit den damals ganz neuen Erkenntnissen zum Klimawandel befassen. Seitdem hatte er eine Mission. Wer, wenn nicht ich? - hat er sich gesagt und die Herausforderung angenommen, immer neue Schülergenerationen im Unterricht und in Projekten damit zu konfrontieren, welche Folgen unser Verhalten für das Klima hat - und was wir dagegen tun können. Unermüdlich und hartnäckig hat er an seiner Mission gearbeitet. Der Schulbetrieb wurde umgestellt und schließlich für nachhaltiges Wirtschaften zertifiziert. Kaum ein Anlass, zu dem er nicht auf Versäumnisse und neue Projekte in diesem Bereich hingewiesen hat. Nicht alle Jugendlichen waren davon zu begeistern - und auch nicht alle Kollegen. Oft war ein leises Stöhnen zu hören, wenn der ältere Kollege wieder von seinem Lieblingsthema anfing. Er hat das hingenommen. Es ging ja nicht um ihn.
Den Propheten der Bibel ging es da ganz ähnlich. Auch sie hatten eine Mission. Sie waren berufen, über die Gegenwart zu sprechen  -  und darüber, was Gott dazu zu sagen hat. Ob die Reichen fair mit ihrem Besitz umgehen, ob Politiker ihrer Verantwortung gerecht werden, ob die Beziehungen zwischen Staaten gut geregelt sind, darum ging es Männern wie Amos, Jesaja oder Jeremia im alten Israel. Und weil oft vieles im Argen lag, darum haben sie Kritik geübt im Namen Gottes, oft heftig und provokant - und ohne Rücksicht auf die Folgen für ihr eigenes Ansehen. Und sie haben auch ausgemalt, was so ein Fehlverhalten in der Zukunft für schlimme Folgen haben wird, wenn sich nichts ändert. Daher die Vorstellung, Propheten würden die Zukunft vorhersagen.
Propheten sind anstrengend. Weil sie sich sicher sind, recht zu haben. Und so auch reden und handeln. Aber ich glaube: Genau deshalb sind sie wichtig für eine Gesellschaft, für Sie und für mich. Weil sie uns an die Dinge erinnern, an die wir nicht so gerne denken. Und so zum Nachdenken anregen. Und vielleicht auch zum Umdenken und Nachahmen. Oder mindestens zum Widerspruch. Ich jedenfalls habe großen Respekt vor solchen Menschen - den Prophetinnen und Propheten von heute.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13686
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