SWR2 Wort zum Tag

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„Will ich Recht behalten, oder will ich glücklich sein?" Eine wichtige Frage an ganz vielen Stellen im Leben. Wie wichtig ist es, Recht zu haben? Wie nötig ist es? Und wie viel geht dadurch kaputt, wenn ich auf meinem Standpunkt beharre, wieviel Schönes und Lebendiges verbaue ich mir dadurch? Ich meine jetzt nicht den Verzicht darauf, eine Meinung zu haben und sie auch zu vertreten. Und auch nicht die Haltung: "Du hast Recht und ich mei Ruh". Streiten ist oft ausgesprochen sinnvoll. Streiten aber nicht um Recht zu behalten, sondern um dem möglichst nahe zu kommen, was ist und wie es weitergehen kann.
Der amerikanische Franziskaner Richard Rohr hat ein Buch über das Leben im Hier und Jetzt geschrieben. Darin betont er sehr stark, dass man nichts wirklich sehen und verstehen kann, solange man mit „Nein!" anfängt. Das bedeutet, Menschen und Dinge nicht vorschnell einzuordnen und in Kategorien wie ‚in' oder ‚out', gut oder schlecht zu zwängen. (vgl. Richard Rohr, Pure Präsenz, Claudius Verlag 2011, S. 56) Wer dem Leben begegnen will, muß ihm zunächst einmal bejahend gegenübertreten. In diesen Zusammenhang gehört auch das prägnante „Richtet nicht!" aus dem Mund Jesu, das wir bei den Evangelisten Matthäus und Lukas finden. Und so ist Jesus selber ja auch den Menschen begegnet: Sündern und Sünderinnen, Fremden, Kranken, die alle abgestempelt waren in der religiösen und säkularen Gesellschaft seiner Zeit. Und er hat in der unmittelbaren Begegnung etwas in diesen Menschen gesehen und zum Vorschein gebracht, was alle andern nicht sehen konnten. Im Betrüger Zachäus den suchenden und mitfühlenden Mann, die große Kraft zur Liebe in der Frau mit den vielen Männern.
Menschen und Erfahrungen mit einem Ja begegnen ist weit mehr als ein psychologischer Trick. Es heißt, jedem Augenblick erst einmal Platz einräumen, jeder Erfahrung ihre Chance geben. Dem, was mir da begegnet, und dem was es in mir zum Klingen bringt. An Fragen, an Schmerz, an Freude, an weiterem Ja und dann auch an Nein. Es geht nicht darum, auf Neins zu verzichten, sie sind nötig, später, wenn ein Mensch oder eine Erfahrung sich erst einmal selber zeigen konnte.
Recht haben oder glücklich sein. Beharren auf dem, was ich mir einmal zurechtgelegt habe, oder mich einlassen auf das lebendige Leben

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