SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Endlich kann ich wieder Fahrrad fahren, nach der Operation war es mir verboten. Jetzt am Sommerabend den Rhein entlang  zu radeln, ist  eine einzige Freude. Gestern sah ich lang einem Fischreiher zu. Unbeweglich stand er da, kaum zu erkennen im Wasser und zwischen den Steinen. Minutenlang ging das so ,  ich konnte mich  von dem Anblick kaum lösen. Die  Schönheit und Konzentration des Tieres  faszinieren mich.  Das ganze Drum und Dran scheint den Reiher nicht zu interessieren. Wie tot steht er da, und ist doch quicklebendig. Nur eins hat er im Auge, obwohl er natürlich sein Umfeld im Blick hat. Gespannt steht er auf der Lauer, pure Präsenz.  Das Verrückteste daran: als ich eine halbe Stunde  später  an der Stelle wieder vorbei fahre, steht der Reiher immer noch da. Was für ein  Stehvermögen, welch eine Geduld!.
Bei Meister Eckhart lese ich: „ Der Mensch ergreife  e i n e  gute Weise und bleibe immer dabei  und bringe sie in alle guten Weisen ein und erachte sie als von Gott empfangen und beginne nicht heute  eines und morgen ein anderes."   Der im Beten geübte Ordensmann rät also zur Sammlung - und zur Konsequenz.  Man möge es doch so machen wie z.B. der Reiher.  Tag für Tag nur  e i n e s tun, aber das ganz und mit allen Sinnen - z. B.  das Beten am Morgen oder das Innehalten am Mittag. Ganz wichtig die Sammlung am Abend.   „Darum", rät Meister Eckhart, „nimm eines von Gott, und dahinein ziehe alles Gute." Ob mich der Reiher deshalb so fasziniert, weil mir diese Konzentration und Sammlung oft fehlt? Meister Eckhart jedenfalls diagnostiziert treffsicher den Grund für die häufige Zerstreuung: es sei die Angst etwas zu versäumen, die unsereinen unruhig mache, die Angst zu kurz zu kommen.  Statt eines richtig zu machen, steht vielerlei gleichzeitig  auf dem  inneren Programm. Vorbei ist es dann mit der kontemplativen Ruhe des Reihers. Nichts von der  ersehnten Kunst , ganz im Hier und Jetzt zu sein. Umso wichtiger also ist es,  diese Geistesgegenwart schrittweise zu üben. Das beginnt vielleicht  schon damit,  die innere Unruhe zuzulassen, und der Angst zu kurz zu kommen, ins Gesicht zu sehen.  Es braucht  dafür  freilich Raum und Zeit, und Tag für Tag die Einfaltung des Vielen in dieses Eine. Meister Eckhart übersetzt die Botschaft des Reihers so: „sei ohne alle Sorge etwas zu versäumen. Denn mit Gott kann man nichts versäumen. So wenig Gott etwas versäumen kann, so wenig kannst du mit Gott etwas versäumen."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13600
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