SWR2 Wort zum Tag

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In meinem nächsten Umfeld hat es  eingeschlagen: liebe Menschen sind schwer erkrankt. Ich selbst war zum ersten Mal im Krankenhaus und musste mich einer Operation unterziehen. Für mich ging zwar alles noch mal  gut, aber Nächste und Nachbarn haben schwer zu kämpfen.  Solche Einschnitte verändern den Blick in die Welt und auf das Leben. Nichts ist mehr so, wie es vorher war. Endgültig  wird klar, wie begrenzt das Leben ist. Der Blick auf die Dinge ändert sich, alles gerät unter eine Art Vorbehalt. Wer weiß, was nächstes Jahr ist, ja nächste Woche schon?  Wie wird die Chemo wirken, werden die Kräfte reichen, können wir planen? 
In den Tagebüchern von Albert Camus lese ich: „Die Krankheit ist ein Kloster mit seiner Ordensregel, seiner Askese, seinem Schweigen und seinen Erleuchtungen." Erstaunlich der Vergleich mit dem Kloster. Gewiss: Schwere Erkrankungen setzen eine strenge neue Rahmenordnung.  Regelmäßig Tabletten nehmen, zeitraubende Arztbesuche machen, genau auf die  Nahrung achten.  Aber ein Kloster ? Das hätte ja einen religiösen Bezug. Camus, der Nichtglaubende, wählt ein Bild aus der Glaubensgeschichte. Klösterlich gehen  Menschen in Klausur, um Gott zu finden und ihm zu dienen. Da wird der ganze Alltag in das Licht einer grösseren Hoffnung gestellt.  Genau so sei es mit der Krankheit, meint Camus. Streng  steht da die Frage im Raum: Was tut meinem Körper  und meiner Seele gut, worauf muss ich verzichten, womöglich für immer, worauf darf ich hoffen?  Ja, „die Krankheit ist ein Kloster mit seiner Ordensregel, seiner Askese" - und Camus fügt hinzu mit „seinem Schweigen und seinen Erleuchtungen".  Das Kloster ist ein Ort der Gemeinschaft.  Ja, es tut gut, nicht allein zu sein mit seiner Krankheit.  Schon ein kurzer Besuch kann eine große Hilfe sein, das Gespräch und das Schweigen erst recht.. Aber je schwerer und unentrinnbarer die Krankheit ist, desto intimer auch ist sie, desto sprachloser macht sie. Dieses klösterliche Schweigen soll kein grübelndes Selbstgespräch sein. Es ist auf ganz neue Weise die Einladung, das Geheimnis Gottes im eigenen Leben zu entdecken, in gesunden, wie in kranken Tagen.
Neu sortiert sich, was nun wichtig bleibt und was verabschiedet sein will. Wohin geht die Reise? Was bleibt und was gilt? Und was soll das Ganze? Es kann jene Gewissheit auftauchen, von der Paulus spricht: „Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes, die uns in Jesus Christus erschienen ist - nichts, weder Gesundheit noch Krankheit, weder Leben noch Tod, weder Vergangenheit noch Zukunft..

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