SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

„Sommerstille" nenn ichs für mich. Wenn die Hitze steht, die Luft über dem Teer flimmert und Menschen und Tiere nur noch Schatten suchen und ausruhen bis es am Abend etwas abkühlt. Als Kind habe ich das noch bewusst erlebt, heute ist es seltener geworden. Jetzt gibt es das bei mir meistens nur noch im Urlaub in Spanien oder Italien. Sommerstille. Siesta.
Die Menschen in den Mittelmeerländern haben früher sogar den Tagesrhythmus danach angepasst. Mittags um zwölf haben die Geschäfte geschlossen und erst am späten Nachmittag wieder geöffnet. Der Abend ist dann immer von Geschäftigkeit und Leben geprägt gewesen. In Großstädten in Italien und Spanien passt man sich jetzt aber eher den nördlichen Zeiten an. Siesta gilt als faul, die Klimaanlage ist beinahe schon ein Statussymbol, das die Faulheit ausgleicht und sagt: Wir arbeiten immer.
Ich will nicht über die modernen Zeiten jammern, aber das ist schade, finde ich.
Denn besonders im Hochsommer, im Urlaub, genieße ich diese Sommerstille und ich spüre, wie es der Seele guttut, wenn sie durch die Hitze zum Nichtstun verdonnert ist. Und ich glaube, dass ich es dann im Herbst auch wieder spüre, wenn ich mit Kraft vollgetankt in die nächste Arbeitssaison starte.
Was mich dabei aber nachdenklich macht: Je älter ich werde, desto mehr scheint das Arbeitspensum zu wachsen und damit der Bedarf an diesem Krafttanken durchs Nichtstun. Und gleichzeitig fällt mir dieses Nichtstun immer schwerer. Der Ausstieg aus der Aktivität dauert bei mir inzwischen mehrere Tage, an denen ich noch in der Wohnung rumräume, bis ich erst langsam zur Ruhe komme. Dabei ist das so wichtig. Das Runterkommen und das Nichtstun. Es geht dabei ja nicht nur um den körperlichen Stress, Herzinfarktvorbeugung oder Kraft, dass ich später wieder funktioniere. Mir geht es auch um ein Stück Lebenskultur, damit, wie ich mit mir selbst umgehe. Nicht umsonst sagt man dazu auch, dass man zu sich selbst kommt. Und bei dieser Windstille in der Seele tut sich was. Sie kann mir nämlich auch helfen, dass ich den Punkt in mir wieder spüre, an dem ich Gott begegne. Was ich mir aber noch überlegen muss, ist die Frage, wo diese Sommerstille auch nach dem Urlaub wieder einen Platz bei mir bekommt.

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