SWR2 Wort zum Tag

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Haben Sie Feinde? - Nein. Besser nicht. Schon allein das Wort ist unangenehm. Ein unbescholtener Mensch hat keine Feinde. - Aber was ist dann mit dem Folgenden:
„Behüte mein Leben vor meinen Feinden. Sie schärfen ihre Zunge wie ein Schwert. Mit ihren giftigen Worten zielen sie wie mit Pfeilen." (Psalm 64) So der Beter von Psalm 64. In diesem und anderen Texten der Bibel ist die Rede von Feinden: von Menschen, die einem Böses wollen. Die einen zum Beispiel mit scharfen Worten und giftigen Bemerkungen kränken.
Die treffen mich ins Herz, wenn sie von Menschen kommen, die ich schätze. Doch ich würde nie davon sprechen, dass ich in solchen Situationen andere als Feinde erlebe. Als Gegnerinnen und Gegner, das ja, als Menschen, die es auf die Person und nicht die Sache abgesehen haben mit ihrer Kritik. Aber als Feinde?
Die biblische Sprache ist in dieser Hinsicht anders, ist ziemlich direkt und unverblümt, manchmal fast überzogen und übertrieben. Und doch schafft sie eine Klarheit, zu der ich mit meiner Sprache gar nicht finden könnte. Sie benennt Konflikte, Auseinandersetzungen, Kränkungen und Gemeinheiten. Und dass das wehtut. - Ich weiß genau, was der Psalmbeter meint, wenn er verzweifelt von den Feinden spricht, die ihn bedrängen. Er sagt, was ich fühle.
Die biblischen Gedanken reden zwar von Feinden, aber sie rufen nicht zum Streit mit den Feinden auf. Sondern sie legen mir eine Strategie nahe, nicht direkt in die Auseinandersetzung oder gar den Kampf einzutreten. Vielleicht, damit es nicht immer noch schlimmer wird. Sie sagen: Ich kann meine Sache Gott überlassen. Ich bin dem, was gegen mich anstürmt und mich bedrängt, nicht ausgeliefert, auch nicht meinen Gefühlen. Ich bin nicht der Willkür meiner Feinde preisgegeben, die mich so angreifen. Sondern: Auch in dieser elenden Situation bin ich getröstet und gehalten. Gott selbst setzt sich für mich ein.
Ich finde, dieser Gedanke entwaffnet. Ich muss nicht meinerseits das Schwert der Worte zücken und die Giftpfeile bereithalten. Es ist, als wende sich der Gedanke zu mir hin, als nehme er mich, die ich an den scharfen Worten und giftigen Bemerkungen leide, in den Blick und sagt: Ich sehe, was dich quält. Sei getrost. Werde ruhig. Sammle deine Kraft, ihnen souverän gegenüberzutreten. Gott steht an deiner Seite.
Darf man also mit biblischen Texten von Feinden reden? Ja, ich finde schon.

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