SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Kennen Sie das? Man meint zu wissen: Das gibt es nicht. Das geht gar nicht. Das war früher nicht so. – Dieser Satz kommt zum Beispiel ganz oft vor, wenn es um die Rollen von Frauen und Männern in der Gesellschaft geht. - Aber wenn es eben doch so war? - Die eigene Wahrnehmung könnte von einem unbewussten Vorurteil bestimmt sein!
Das zeigt sich auch beim Lesen biblischer Texte: Wer mit dem Vorbehalt „Das gab es nicht“ an biblische Texte herantritt, verschließt sich vor wichtigen Erkenntnissen und verstellt sich den Blick. Zum Beispiel darauf, dass auch Frauen das apostolische Amt in der Urkirche innehatten. So wie Junia, eine Zeitgenossin des Apostel Paulus, die im Lauf der Auslegungsgeschichte zu einem Mann gemacht wurde, weil, so die Auffassung der Exegeten und Theologen, Apostel grundsätzlich Männer waren.
Ihr Name erscheint unter einer Reihe anderer wichtiger Personen am Schluss des Briefes an die Gemeinde in Rom (Röm. 16,7). Dort sagt Paulus von ihr, sie sei berühmt unter den Aposteln, länger als er selbst mit diesem Leitungsamt der urchristlichen Gemeinde betraut. Zusammen mit ihr wird ein Mann erwähnt, Andronikus. Das ist nicht ungewöhnlich. Auch an anderen Stellen erscheint der Hinweis auf Paare, die wie Paulus durch die antike Welt reisen und das Evangelium weiter tragen. Ganz logisch also: Junia und Andronikus.
Der Kirchenvater Johannes Chrysostomus (344-407) schreibt im 4. Jahrhundert über sie: „Ein Apostel zu sein ist etwas Großes. Aber berühmt unter den Aposteln – bedenke, welch großes Lob das ist. Wie groß muss die Weisheit dieser Frau gewesen sein, dass sie für den Titel Apostel würdig befunden wurde.“
Doch diese Würdigung geht in der mittelalterlichen Auslegungstradition verloren. Aus der Frau Junia wird ein Mann namens Junias. Die Begründung: So etwas könne es damals nicht gegeben haben. Das Vorurteil geht davon aus, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Heute sind sich alle neueren Textforschungen einig: Neben der jahrhundertealten gut bezeugten Überlieferungsgeschichte spricht auch der viel verbreitete Frauenname Junia dafür, dass im Römerbrief eine Apostolin Junia erwähnt wird – für einen Männernamen Junias gibt es keinen einzigen Beleg.
Übrigens gibt es seit diesem Juli (2012) in Deutschland eine Junia-Kirche: Die altkatholische Gemeinde Augsburg hat sich für diese Namensgebung entschieden.
Ja, manche Dinge, die man sich nicht vorstellen kann, können eben doch sein. Zum Beispiel, was die Aufgaben und Rollen von Frauen und Männern betrifft, in der Bibel und auch sonst im Leben.


https://www.kirche-im-swr.de/?m=13566
weiterlesen...