SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Was ist das denn? Wir halten inne, mein Hund und ich. Da liegt mitten auf dem Weg ein Etwas. Es ist morgens früh. Schleierwolken hängen noch tief über dem Wald. Das kleine Etwas atmet noch. Wir nähern uns vorsichtig. Es ist ein ganz, ganz kleines Rehkitz. Noch feucht. Es atmet, aber es bewegt sich nicht. Der Kopf liegt auf der Seite, auf dem Boden. Das Kleine guckt mich an: erschöpft, traurig? am Ende seiner Kräfte; am Ende eines viel zu kurzen Lebens?
Was soll ich machen? Einfach liegen lassen? Auf jeden Fall nicht anfassen, warnt eine Stimme in meinem Kopf, sonst hat es überhaupt gar keine Chance mehr, falls seine Rehmutter noch irgendwo ist und nach ihrem Kleinen sucht. Also einfach liegen lassen? Also ja, ich lasse es einfach liegen; mein Hund und ich gehen weiter. Aber der Blick: zu Tode erschöpft, resigniert, lässt mich einfach nicht los.
Es klingt vielleicht ein wenig naiv, ich weiß. Aber auf dem restlichen Weg habe ich gebetet. Ich habe Gott gebeten, sich um das kleine, verlorene Rehkitz zu kümmern. Dass Gott entweder ein Wunder geschehen lässt und die Rehmutter ihr Kleines findet, dass das Kleine noch so viel Kraft hat, um sich aufzurichten und die Zitzen seiner Mutter zu finden. Oder dass Gott es in aller Ruhe sterben lässt, und es nicht von anderen Tieren aufgefressen wird.
Am nächsten Morgen sind mein Hund und ich denselben Weg nochmal gegangen. Keine Spur mehr vom Rehkitz. Auch rechts und links vom Weg: nichts. Wir haben überall gesucht: nichts, keine Spur.
Ist das Rehkitz mit Haut und Haaren aufgegessen worden? Oder hat es seine Mutter wiedergefunden? Ich weiß es nicht.
Aber: Hoffen kann man immer. Und beten auch.
Weil ich weiß: Wunder geschehen.

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