SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Glauben muß heute niemand mehr. Das ist ein Kennzeichen unserer säkularisierten Gesellschaft. Niemand wird von außen her gezwungen, sich zu einem Glauben zu bekennen, und auch die psychologische Wahlfreiheit ist möglicherweise größer als früher, denn die Umwelt sehr vieler Menschen ist nicht mehr stark religiös oder sogar konfessionell geprägt. Wer sich heute zum Glauben an Gott entschließt, kann das aus freien Stücken tun.
Damit ist zweifellos vieles gewonnen. Denn an Gott glauben heißt ja in eine Beziehung einwilligen und so etwas lässt sich nicht befehlen.. Und es setzt voraus, daß wir unsere Beweggründe frei abwägen können, die Gründe des Verstandes, der Lebenserfahrung, des Gefühls und der Intuition. Diese Freiheit möchte ich nicht mehr missen.
Gleichzeitig empfinde ich sie manchmal als Last. Es wäre soviel leichter, ganz selbstverständlich in den Glauben hineinzuwachsen und sich immer und überall von einer einheitlichen glaubenden Gemeinschaft gestützt zu sehen, statt persönlich konfrontiert zu sein mit Fragen und Zweifeln und Entscheidungsnöten. Freiheit, auch Glaubensfreiheit ist anstrengend. Und den Kindern gönne ich so sehr die Riten und Feste und Geschichten des Glaubens, die Heimat geben und eine Ahnung von Gott. Es ist ja auch im Sinne der Freiheit, daß sie das kennenlernen, wofür oder wogegen sie sich dann entscheiden oder was sie sich verändert zu eigen machen. Schließlich: mit der Fähigkeit zum Glauben ist es wie mit musikalischer Begabung; auch die entfaltet sich am besten, wenn sie früh angesprochen, gelockt und gefördert wird.
Wie wird wohl im Lauf der nächsten 30, 50 Jahre Glaube aussehen, der sich aus solcher Situation der Freiheit entwickelt? Wird er ehrlicher werden, persönlicher? Oder wird seine Gestalt zufälliger werden, zusammengesetzt aus den verschiedensten Angeboten?
Wählen können zwischen glauben und nicht glauben. Es ist eine Chance. Eine Chance, die wir um so besser nutzen, je mehr wir miteinander im Gespräch sind. Je aufmerksamer wir auf das Leben, auf die Fragen und die Antworten jedes und jeder einzelnen sind. Je intensiver und phantasievoller wir mit unsern Kindern leben. Dabei können wir auch einen neuen Blick gewinnen für die Schätze der Kirchen an Riten und Geschichten und Bekenntnissen. Es klingt paradox: die größere Freiheit ruft auch nach um so mehr Gemeinschaft.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=1351
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