SWR2 Wort zum Tag

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Jakob heißt der alte Mann, dessen schwarz-weißes Portraitfoto mich begleitet und bewegt. Ich habe es in einer Ausstellung gesehen, in der je ein Fotograf und ein Maler gemeinsam an einem Thema arbeiten und darüber einen Dialog führen. „Kunst-Dialoge am Oberrhein" - das hat mich interessiert. Und dann habe ich gespürt, dass diese Bilder und ihre gegenseitige Korrespondenz mich selbst zu einem inneren Dialog mit den Bildern führen und etwas in mir zum Schwingen bringen.
Jakob - ich sehe sein Foto und lese den Vornamen. Ich weiß nichts über diesen betagten Menschen, und doch fühle ich mich ihm nahe. Licht fällt auf sein Gesicht. Offene und zugleich nachdenkliche Augen schauen mich freundlich an. Die tiefen Falten und Furchten, die das Leben in dieses Gesicht eingegraben hat, wirken wie eine Landschaft, die mich einlädt, ihren Wegen nachzuspüren: den Entbehrungen, der Trauer, dem Glück, der Liebe, die diese Lebensgeschichte ausmachen. Ich spüre, dass dieser Mensch ganz bei sich ist. Er strahlt eine Ruhe aus, die sich auf mich überträgt. Gerade weil es den Reiz der Jugendlichkeit seit langem hinter sich gelassen hat, ist dieses Gesicht von einer ganz eigenen Schönheit und Würde, in der sich die Seele spiegelt. Es lässt das Geheimnis eines Lebens ahnen, das mehr ist als die vielen Ereignisse einer langen Biographie.
Neben dem Foto von Jakob steht ein Landschaftsbild. Eine Kohlezeichnung, mit vielen Nuancen von Dunkel und Hell. Im Vordergrund schwarze Fichten; im Hintergrund hinter einander gestaffelte Hügelketten, die sich schemenhaft in der Ferne verlieren. Dazwischen ein See, dessen stille Oberfläche wie die Antwort auf die Weite eines unendlichen Himmels wirkt. Etwas wie ein Schleier liegt über dem Bild und scheint es in Schweigen zu hüllen.
Diese beiden Bilder bewegen mich. Ja sie tun mir wohl. Und ich frage mich, warum. Sicher ist es die Ruhe, die Stille, die von ihnen ausgeht und die mich innehalten lässt. Dazu trägt auch bei, dass sie sich ganz auf das Wechselspiel von Hell und Dunkel konzentrieren. Beides macht erst zusammen das Ganze aus und gibt ihm seine Konturen. Beides zusammen lässt mich erst sehen. Denn wo es nur dunkel ist, erkenne ich nichts, und die schiere Helligkeit blendet mich. Im  Zusammenwirken aber ist das Dunkel weniger bedrohlich, und das Helle ist weniger vordergründig.
Und ich nehme auch noch etwas Anderes wahr. Beide Bilder halten einen Augenblick fest, einen einmaligen Lebensausschnitt. Aber in diesem einzigartigen, unwiederholbaren Lebensaugenblick scheint eine Tiefe und zugleich eine unendliche Weite auf, die mich spüren lässt, dass ich das Leben in Vertrauen annehmen kann.

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