SWR2 Wort zum Tag

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Auf ein bemerkenswertes Experiment haben sich 25 Maler und 25 Fotografen aus Südbaden eingelassen: „Kunst-Dialoge am Oberrhein". Paarweise - je ein Fotograf und ein Maler - haben sie zu einem Thema gearbeitet. Über ihre Werke haben sie einen Dialog geführt und auch über die Motive, die sie in ihrem Schaffen bewegen. Drei interessante Ausstellungen dazu sind noch bis 5. August in Müllheim, in Breisach und in Weil am Rhein zu sehen.
Viele dieser Bild-Dialoge haben mich in ihren Bann gezogen: Menschen, Landschaften, Bauwerke, technische Installationen. Neugierig gemacht hat mich auch der Grundgedanke hinter diesem Dialog-Experiment: Maler und Fotografen setzen sich mit ihren jeweiligen künstlerischen Ausdrucksmitteln mit demselben Sujet  auseinander. Manchmal nähert sich der Maler der Sehweise des Fotografen, manchmal erscheint die Fotografie wie eine abstrakte Malerei. Zumeist kommen sie zu unterschiedlichen Ergebnissen. Sie befruchten einander und lassen doch die andere Sehweise gelten. Das eine ist nicht richtiger oder gar wahrer als das andere. Es gibt unterschiedliche Erfahrungen und Ausdrucksformen derselben Wirklichkeit, und jede hat ihr Recht. Es gibt verschiedene Arten, den Sinn von Landschaftserlebnissen, den Sinn von kleinen Erfahrungen des Alltags und von tiefen Erfahrungen des Lebens und des Glaubens zu deuten und sich ein Bild davon zu machen.
Das machen diese Künstler und ihre Bilder deutlich. Das macht Kunst deutlich - anschaulicher als jedes Argument. Kunst gibt der Vielfalt und Verschiedenheit Raum. Sie zeigt aber auch das Gemeinsame und Verbindende: eine Wirklichkeit hinter dem, was wir oft als Realität bezeichnen. Nennen wir dies den Sinn, die Wahrheit unserer Erfahrungen und unseres Lebens. Diese Wahrheit kann in vielen Bildern und Ausdrucksformen aufscheinen - und doch lässt sie sich nicht darauf festlegen. Sie ist immer größer. Sie will auf vielerlei Wegen gesucht werden und kann auf vielerlei Wegen gefunden werden. Immer enthält die Wahrheit mehr Fragen als Antworten. Aber wir können uns ihr nähern, wenn wir den Dialog suchen und im Dialog bleiben.
Die „Kunst-Dialoge am Oberrhein" wurden von den beteiligten Künstlern als Experiment betrachtet. Sie wussten zunächst nicht, ob der Dialog gelingen würde. Aber sie haben sich darauf eingelassen - mit ihren eigenen kreativen Möglichkeiten und mit Respekt vor den schöpferischen Gaben und der Sichtweise des Anderen. Dialog ist immer ein Experiment. Ich muss mich darauf einlassen, ihn wagen; Anderes gelten lassen ohne mich selbst aufzugeben, offene Fragen aushalten. Dann kann es geschehen, dass mein Blick weiter wird und ich ein wenig mehr von dem sehe, was Leben ausmacht.

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