SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Fast jeden Tag höre  ich diesen Satz: „Ich bin gerade in ..." dann folgt eine Ortsangabe. In der Stadt oder im Park. In der Straßenbahn oder am Nachbartisch im Café. „Ich bin gerade in ..." Die meisten Handygespräche, die ich unfreiwillig mithöre, sind Ortsangaben. Da kommt es schon vor, dass ich mich genervt fühle, weil andere Menschen einfach so unüberhörbar ihre Ortsangaben verbreiten.
Aber irgendwann hat es mir gedämmert: Ich habe dieses „Ich bin gerade in ..." auch schon gesagt,  Diese Sätze sind meist ein Bruchstück einer Beziehungsgeschichte. Diese Sätze mit den fünf Wörtern: „Ich bin gerade in ..." sie senden viel komplexere Botschaften. Häufig jedenfalls.
 „Ich bin gerade in ..." das heiß im einfachsten Fall: Gleich bin ich zu Hause. Oder: Heute stelle ich mich in einer neuen Firma vor.  Es kann heißen: Ja, es steht nicht gut um ihn. Ich bin jetzt hingefahren. Vielleicht lautet die Botschaft auch nur: Ich musste einfach einmal weg. Der Abstand tut mir gut.
Ortsangaben sind nur vordergründig auf eine geographische Botschaft begrenzt. Manchmal bringen sie unausgesprochen eine ganze Geschichte zum Ausdruck. Handeln von einer Sorge. Von einer Sehnsucht. Von der Hoffnung, dass es irgendwie weitergeht.
Eine solche Frage nach dem derzeitigen Ort einer Lebensgeschichte findet sich gleich auf einer der ersten Seiten der Bibel. Adam und Eva haben von der verbotenen Frucht vom Baum der Erkenntnis gegessen. Plötzlich hören sie, dass Gott sich durch den Garten nähert. Sie bekommen Angst und verstecken sich. „Wo seid ihr?", fragt Gott. „Wir sind gerade im Garten", tönt es als zurück. Und die Antwort lässt sich unschwer ergänzen: „Wir haben uns vor dir versteckt. Wir sind nackt." Oder ehrlicher. „Wir haben etwas vor dir zu verbergen."
Adam und Eva geben ihr „Wir sind im Garten" ohne Handy weiter. Aber die lapidare Ortsangabe beinhaltet ihre ganze Geschichte. Sie macht eine Aussage darüber, wie es um Adam und Eva im Moment steht.
Mit diesem „Ich bin gerade in ..." ist manchmal ganz ähnlich. Auch diese Ortsangabe beinhaltet oft eine ganze Geschichte. Sie legt die Wendung eines Lebenswegs offen. Seitdem sich diese Einsicht in mir festgesetzt hat, bin ich gnädiger mit den manchmal nervenden Ortsangaben. Da höre ich ein Stück Lebensgeschichte heraus. Und schicke den Urhebern dies „Ich bin gerade in ..." unhörbar einen guten Wunsch hinterher. Manchmal auch die Hoffnung, dass Gott sie um diese nächste Lebenswendung begleitet.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13501
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