SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Es gibt Lieder, die begleiten mich von klein auf. „Der Mond ist aufgegangen" ist so ein Lied. Ich freu mich, dass es dieses Abendlied bis ins evangelische Gesangbuch geschafft hat.

1. Der Mond ist aufgegangen,
die goldnen Sternlein prangen
am Himmel hell und klar.
Der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget
der weiße Nebel wunderbar.

Auf mancher Nachtfahrt habe ich es schon vor mich hingesungen oder gesummt. Die ruhige Melodie mag ich besonders - aber auch der Text hat es in sich. Matthias Claudius hat ihn geschrieben. Dem gingen nicht nur idyllische Gedanken durch den Kopf, wenn er den Mond gesehen hat. In einer anderen Strophe singt er ganz nachdenklich:

3. Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen
und ist doch rund und schön.
So sind wohl manche Sachen,
die wir getrost belachen,
weil unsre Augen sie nicht sehn.

Wenn ich ein wenig zu übermütig bin und mir einbilde, viel vom Leben zu verstehen, dann erinnert mich dieses Abendlied liebevoll aber bestimmt an meine Grenzen. Ich sehe nicht alles. Ich habe nicht in allem den Durchblick. Ich seh nicht immer das große Ganze. Muss ich auch nicht. Für heute reicht es völlig, wenn ich mir das klar mache. Es gibt wahrlich mehr auf dieser Welt als das, was ich bis jetzt gesehen und verstanden habe. Das mahnt mich - und es tröstet mich auch ein bisschen.
Am Ende seines Liedes kommt Matthias Claudius vom Nachdenken ins Beten. In den ersten Strophen hat er über Gott und die Welt nachgedacht, am Ende betet er.

„...lass uns ruhig schlafen.
Und unsern kranken Nachbarn auch!"

Wenn ich mir abends noch einen Kopf mache über das, was ich heute nicht lösen konnte, erinnert mich sein Abendgebet, dass ich gar nicht alles lösen muss. Heute nicht und morgen auch nicht. Ruhig einschlafen kann ich nicht erst, wenn ich alles gelöst und geklärt habe. Ruhig einschlafen kann ich, wenn ich mich und meine Fragen Gott überlasse und bei ihm zur Ruhe komme.
Und dass die letzten Worte dieses Liedes unserm kranken Nachbarn gelten, finde ich umwerfend. Auch er soll Ruhe finden in dieser Nacht. Vielleicht habe ich morgen eine Idee, wie ich ihm dabei helfen kann, dass er auch tagsüber etwas Ruhe findet.
Heute Abend, vor dem Schlafengehen, werde ich mal wieder zum Himmel hochschauen. Vielleicht sehe ich den Mond. Dann werde ich leise vor mich hinsummen: „Der Mond ist aufgegangen..."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13496
weiterlesen...