Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Kennen Sie Fieberlöcher? Nein, das sind keine Krankheitsmerkmale. Fieberlöcher habe ich in meinem Urlaub in Kremmen bei Berlin an der Außenwand einer alten Kirche gefunden. Die kreisrunden Löcher hielt ich zunächst für Kriegsschäden. Aber ein Führer erläuterte mir, wie sie zustande kamen: In früheren Jahrhunderten schabten die Menschen diese Löcher in die Back-steine der Kirche. Den Steinstaub sammelten sie und mischten ihn Heiltränken bei. Sie hofften, damit die Fieberkranken zu Hause heilen zu können. Daher die Bezeichnung Fieberlöcher.
Man kann diese Praxis leicht als typisch mittelalterlichen Aberglauben abtun oder das Ganze nur als historische Anekdote ansehen. Wer aber selbst einmal schwer krank war oder schwere Krankheit in seiner Umgebung erlebt hat, hat vielleicht Verständnis für die Menschen, die mög-licherweise verzweifelt nach Heilmitteln suchten – und dabei bereit waren, sich auch auf Un-gewöhnliches einzulassen.
Dabei war das Handeln der damaligen Menschen gar nicht so unverständlich. Für sie war die Kirche nicht irgendein Gebäude, sie steht vielmehr für die Gegenwart Jesu. Hier wird Jesus unter den Menschen gewissermaßen greifbar. Und nach dem Zeugnis der Bibel hat Jesus viele Menschen geheilt, auch in scheinbar auswegloser Lage. Das Markusevangelium berichtet von der Heilung einer Frau, die ihm nur so nahe kam, dass sie gerade einmal einen Zipfel seines Gewandes berühren konnte. Konnte man diese gesund machende Gegenwart Jesu vielleicht auch den Kranken nach Hause bringen – und sei es auch nur durch ein wenig Staub von den Mauern dieser Kirche? Konnte dieser Staub vielleicht wie der Zipfel des Gewandes Zeichen von Gottes Nähe sein?
Im Kern lagen die Menschen, die die Ziegel ankratzten, mit ihrer Überzeugung richtig: es ist Gott, der heilt und Leben schenkt, sei es durch einen kundigen Arzt, durch wirksame Medizin oder durch seine heilende Gegenwart, wie sie eine Kirche symbolisiert .
Die Kirche in Kremmen hat sehr viele und tiefe Fieberlöcher. Der Brauch muss lange fortgelebt haben, trotz der unausweichlichen Erfahrung, dass Kranke nicht geheilt wurden, vielleicht so-gar starben. Offenbar war der Steinstaub für die Einwohner kein Wundermittel, sondern der Brauch der Fieberlöcher war ihr Weg, dem Vertrauen auf den heilenden Gott sichtbar Ausdruck zu verleihen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=1346
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