Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Lassen Sie ihr Geld arbeiten", sagt der junge Mann am Schalter zu mir. „Lassen Sie es nicht auf Ihrem Konto liegen, das Geld muss arbeiten!"
Ich schaue den Bankberater etwas irritiert an. Er ist rund 30 Jahre jünger als ich. „Es arbeitet gerne für sie..., Geld liegt nicht gerne faul herum" sagt er.
Woher weiß er das? Das frage ich mich.
Soll ich jetzt auch an der Börse spekulieren? Klar, wenn der Bankberater mein Geld geschickt anlegt, dann kann ich mir wohl bald mehr leisten... und die Bank auch.
Renditen können uns reicher machen. Aber diese Renditen muss ja jemand erwirtschaften. Die Zinsen, welche die einen bekommen, müssen andere zahlen. Arm zu werden geht manchmal ganz schnell. Wenn man die Belastungen nicht mehr tragen kann. Immer mehr Menschen in unserem Land sind verschuldet, viele Firmen und sogar ganze Staaten rasen in die Pleite.
Im alten Israel waren Zinsen verboten. In der Bibel steht: „Wenn du Geld verleihst... so sollst du nicht wie ein Wucherer handeln und du sollst keinerlei Zinsen nehmen." Der Islam hat später diese Weisheit aus dem Judentum übernommen. Auch Christen haben sich bis ins Mittelalter an das Zinsverbot gehalten. Wucherei und Zinsen machen Menschen arm. Damals war das übereinstimmende Meinung. Aber das ist lange her.
 „Geld muss arbeiten, sonst bringt es nichts", meint der Bankberater. „Es muss anders arbeiten", sage ich, und erzähle ihm diese Geschichte: Vor einigen Wochen habe ich mal ordentlich Geld investiert. Ich hatte Vertretung in einer mir unbekannten Schulklasse im Fach Religion. Es waren nur 8 Schülerinnen da. Sie erzählten von ihren Familien, wie es zu Hause zugeht. Von viel Gutem, aber auch von wirtschaftlicher Armut.
Vor der Pause habe ich mich bei den Schülerinnen für ihre Offenheit und ihr Vertrauen bedankt. Habe einen Geldschein aus meiner Geldbörse genommen und gesagt:
„Ich wünsche mir, dass ihr jetzt in der Pause so ein gutes Miteinander habt wie hier eben in unserem Gespräch. Teilt das Geld in der Cafeteria und achtet bitte darauf, dass jede von euch etwas essen oder trinken kann."
Wochen später kommt mir ein strahlendes Lächeln auf dem Schulhof entgegen.
Ich denke: Wieso schaut mich die junge Frau so lächelnd und froh an? Kann es sein, dass es eine der 8 Schülerinnen war? Nette Zinsen und eine Investition in die Zukunft, denke ich und lächle zurück.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13386
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