SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ich arbeite als Pfarrerin in der Klinikseelsorge. Das heißt auch: Miterleben zu müssen, dass kleine Kind sterben. Und wer das erlebt, schwankt zwischen wortreicher Fassungslosigkeit und Sprachlosigkeit. Unbegreiflich ist das: den ganzen Tod noch vor dem Leben. Einem Leben, in dem die Kinder so willkommen. Ihr Name hing schon in bunten Buchstaben zur Begrüßung an der Kinderzimmertür. Vorsorgliche Omas haben das Kinderbett  mit Decken und winzigen Kisschen ausgestattet. Alles ist erfüllt von Vorfreude. Und dann erfahren die Eltern, dass das Kind noch in der Klinik bleiben muss, auf der Intensivstation. Dass es noch einmal operiert werden muss. Dass es gar nicht gut steht. Und die Eltern sind von morgens bis abends dort und beten: Ihr Kind möge das doch alles überstehen und - leben.
Anfang und Ende - auf dem kürzesten Weg miteinander verbunden. Gibt es da überhaupt einen Trost? Kindertotenlieder - so nannte Ernst Rückert etwa vierhundert Gedichte. Geschrieben im Andenken an seine Tochter und seinen Sohn. Beide waren kurz nacheinander an Scharlach gestorben. Rückert konnte sich nicht mehr losreißen von seinem Schmerz. In einem Lied heißt es: „Oft denk' ich, sie sind nur ausgegangen, bald werden sie wieder nach Haus gelangen, Der Tag ist schön, o sei nicht bang, Sie machen nur einen weitern Gang."  Man sieht ihn vor sich, wie er da sitzt, lauscht und wartet, bis es schon dämmert und er sich sagt: Der Tag ist lang. Bald wird die Tür aufgehen. Bald hör ich ihre kleinen Schritte wieder und ihr Lachen. Und wie es dann doch still bleibt und er wieder zu sich kommt und sagen  muss: Das ist vorbei. Für immer.
Anfang und Ende - unlösbar miteinander verbunden. Gibt es da überhaupt einen Trost? Eines Tages wurde Paul Gerhardt gebeten, ein Gedicht zu schreiben für einen Vater, dessen kleiner Junge gestorben war. Und nun macht Paul Gerhardt in diesem Gedicht etwas ganz Einzigartiges. Er lässt den kleinen Jungen noch einmal selber sprechen, wie vom Himmel herab. Mein herzer Vater weint ihr noch, und ihr die mich geboren? Was grämt ihr euch, was macht ihr doch. Ich bin ja unverloren." Paul Gerhardt glaubte fest daran: dass wir durch den Tod nicht verloren gehen. Darum tröstet das Kind alle über seinen allzu frühen Tod mit den Worten, nun gehöre ihm „ein ganzer Himmel voller Licht, ein Licht, davon mein Angesicht so schön wird als die Sonne."

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