SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ein Volksfest in der Heidelberger Altstadt am Abend. Die Menschen schieben sich durch die Gassen, einer am anderen, manche mit der Bierflasche in der Hand. Mittendrin ein Vater, der seine kleine Tochter auf dem Arm hält. Sie hat den Kopf an seine Schulter gelegt, den Schnuller im Mund - und schläft. Schläft tief und fest. Nichts kann sie aufwecken. Weder die laute Musik von der Bühne, noch der Krach, den die Leute auf den Bierbänken machen. Die Augen der Kleinen bleiben geschlossen. So entspannt schlafen können auf Papas Arm, ganz egal, was drumherum geschieht, beneidenswert.
„Ich liege und schlafe und erwache. Denn du Herr, bist bei mir." (Psalm 3,6) heißt es in einem Psalm. Es geht etwas ungemein Beruhigendes aus von diesen Worten und dem Gedanken: Dass, wenn wir selbst nicht mehr bei uns sind und wehrlos sind wie kleine Kinder, einer bei uns ist und uns hält. Dass jemand ein Auge auf uns hat, wenn wir gerade einschlafen oder gerade aufwachen. Wir sperrigen Erwachsenen passen auf keinen Vaterarm mehr. Zu groß, zu schwer, zu alt für so etwas. Uns Erwachsenen bleibt nur dieser schöne Satz aus der Bibel:
„Ich liege und schlafe und erwache." Vor gut zwei Stunden hat mein Wecker geklingelt. Das, was ich eben noch geträumt habe, die Bilder, die ich gesehen habe, schwinden langsam dahin. Aber wo bin ich überhaupt? Gegenüber, das Helle, muss doch das Fenster sein. Dann bin ich also zuhause, im gewohnten Bett. Und das mit dem verpassten Zug, hinter dem ich eben noch hergerannt bin, das war zum Glück nur geträumt.
Allmählich tauche ich auf aus der Traumwelt, so, wie ich abends wieder hineinversinke. Hoffentlich. Wie gut es tut zu spüren: jetzt schlafe ich endlich ein. Jetzt bin ich gewissermaßen für mich nicht mehr zuständig. Und dann zu merken, wie das, worüber ich gerade noch nachdenken, allmählich, durcheinander gerät, wie mir halbe Sätze durch den Kopf gehen und Wörter einfallen, die es gar nicht gibt; wie ich auf einmal Bilder sehe, Stimmen höre, mit Menschen rede, die schon lange nicht mehr da oder weit weg sind. Wie ich selbst in ein anderes Ich gleite, eines, das es vor Jahren einmal gegeben hat, ein Schüler-Ich, ein Kinder-Ich, aus dem ich längst herausgewachsen bin.
Wir leben und empfinden im Schlafen und im Wachen. Wir sind Träumende und Wachende. „Ich liege und schlafe und erwache. Denn du Herr, bist bei mir." Das ist mehr eine Bitte als eine Feststellung. Es bleibt ein Segen: Einschlafen zu dürfen, ein paar Stunden Ferien vom Leben zu nehmen. Danach erträgt man selbst das Weckerläuten am Montagmorgen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13378
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