SWR2 Wort zum Tag

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Es ist eines der berühmtesten Gemälde der Welt. Die Erschaffung Adams. Zu sehen an der Decke der Sixtinischen Kapelle in Rom. Wer dort den Blick nach oben richtet, sieht eine schwebende väterliche Gottesgestalt, die mit ausgestrecktem Finger Adam, den ersten Menschen, zu berühren scheint.
Gott und Mensch sind dabei in spannungsreiche Beziehung gesetzt. Gott ruft Adam ins Leben, ohne dass die Distanz zwischen beiden aufgehoben wäre.
Kürzlich las ich von Untersuchungen eines Neuromediziners, der in Michelangelos Gemälde etwas Neues entdeckt hat. Es zeige, so sagte der Wissenschaftler, dass die Wolke, die die Gestalt Gottes umgibt, bis ins Detail hinein dem Querschnitt des menschlichen Gehirns ähnelt. Die göttliche Aura also, von Michelangelo dargestellt in Form eines menschlichen Gehirns.
Was aber hätte das für das Verständnis seines Bildes zu bedeuten? Vielleicht, denke ich, wollte Michelangelo das Wort aus einem Psalm illustrieren, wo es heißt: „Du hast ihn, den Menschen, wenig niedriger gemacht als Gott." So zeigt er auf seine Weise und mit seinen künstlerischen Mitteln, dass der Mensch Dialogpartner Gottes ist, Mitschöpfer an seiner Schöpfung, göttliches Ebenbild.
Der Philosoph Ludwig Feuerbach stellte diese Ansicht einige Jahrhunderte später genau auf den Kopf. Er setzte dagegen, Gott sei lediglich eine Projektion des Menschen. Ein Produkt des menschlichen Gehirns.
Michelangelo aber demonstriert uns etwas anderes. Für ihn ist Gott das Gehirn der Welt. Der Mensch, wenn auch wenig niedriger als Gott, reicht weder mit seinen intellektuellen Fähigkeiten noch mit seinen ausgestreckten Händen an das göttliche Geheimnis heran.
Aber das ist auch gar nicht notwendig. Denn Gott selbst ist es, der sich freundlich dem Menschen zuwendet. Er erweckt den plumpen Erdenkloß zum Leben. Er haucht ihm Atem und Inspiration ein. Er stattet ihn mit allen Talenten aus, damit er ein geistreiches Leben führen kann.
Für mich heute hieße das: Ich verzichte auf Spekulationen über Gott und die Welt. Und nehme die Botschaft ernst, die Michelangelo in seiner Zeit in der Sixtinischen Kapelle ins Bild setzte. Dass der entgegenkommende Gott dem Menschen Atem und Leben schenkt. Der Mensch aber darf sich als Gottes wunderbarer und einzigartiger Gedanke verstehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13327
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