Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Von Helmut Schmidt stammt der Satz: „Wer Visionen hat, sollte lieber zum Arzt gehen!" Bei allem Respekt vor dem Altkanzler. Aber hier möchte ich widersprechen! Wer immer nur die gerade anliegenden Probleme lösen will, der bleibt schnell im Alltagstrott stecken. Das gilt auch für die Politik. Auch da sind Visionen nötig. Wo wären wir heute, hätten Politiker trotz Krieg und Völkerhass nicht auch von einem freien und geeinten Europa geträumt und dann konsequent dafür gearbeitet? Auch die Kirche braucht Visionäre, Menschen, die sich mit dem Hier und Jetzt nicht zufriedengeben. Die sich nicht begnügen mit seelenloser Routine und der Verwaltung des Mangels. Die katholische Kirche hatte einen solchen Visionär an ihrer Spitze: Papst Johannes XXIII. 50 Jahre ist das her. Mit 77 war er zum Papst gewählt worden. Und was niemand von diesem alten Mann erwartet hatte: Johannes berief ein Konzil ein, das II. Vatikanische. Mit dieser Versammlung von 2.500 Bischöfen aus aller Welt endete das Mittelalter in der Kirche. Genau das wollte der bescheidene und humorvolle Bauernsohn auf dem Stuhl des Petrus. Das Evangelium Jesu sollte auch die Menschen der modernen Zeit erreichen. Mit dem Konzil schottete sich die Kirche nicht länger ab gegen eine vermeintlich „böse Welt", sondern sie öffnete sich für alle, die mit ihr für eine bessere Zukunft arbeiten wollten. Eine ungeahnte Aufbruchstimmung gab Johannes recht. Die meisten Katholiken begrüßten die längst fälligen Reformen, die das Konzil beschloss. Heutzutage dagegen beklagen viele Stillstand und Rückschritt in der Kirche. Sie vermissen den Mut zu notwendigen Veränderungen. Auch deshalb kamen vor ein paar Wochen 80.000 Gläubige zum Katholikentag nach Mannheim. Sein Motto: „Einen neuen Aufbruch wagen". Zur Zeit eher eine Vision. Darin drückt sich die Sehnsucht nach einer Kirche aus, die neue Begeisterung für das Evangelium entfachen kann. Vielleicht erfüllt sich ja dann auch der Traum von Papst Johannes XXIII. Er hatte seinen Kritikern damals erklärt: „Wir sind nicht auf Erden, um ein Museum zu hüten, sondern um einen Garten zu pflegen, der von blühendem Leben strotzt und für eine schöne Zukunft bestimmt ist."

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13314
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