SWR2 Wort zum Tag

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Das Internet verführt zu Schnellschüssen. Aber wer schießt, kann verletzen. Eine e-Mail ist schnell abgefeuert im Zorn, in einem Forum oder beim Twittern ist die Versuchung groß, nicht sanft durchs Netz zu zwitschern, sondern boshaft bissig zu ballern.
Und es sind oft nicht die Jugendlichen oder die Ungebildeten, die im Internet so schießen. Im Gegenteil: Gute Bildung und Alter schützen vor schlechtem Benehmen nicht.
Nur wer seine Sprache kreativ beherrscht, kann sie auch kreativ einsetzen. Aber Kreativität ist eine Versuchung. Ich habe schon vieles gelesen im Netz, wo die Schreiber ihre Sprachfähigkeit genussvoll zelebrieren. Und zugleich hat es mich geschüttelt, weil da einer mit geballter Attacke die anderen gezielt anschießen und verletzen will. Und dass man sich im Netz anonym äußern kann, vergrößert die Versuchung und senkt die Hemmschwellen.
Und was jetzt? Nein, ich plädiere nicht für die Wiederentdeckung der Langsamkeit des Briefeschreibens.
Und ich will auch nicht moralisch appellieren. Schon gar nicht plädiere ich dafür, dass anonyme Benutzernamen verboten werden. Anonymität ist für freie Kommunikation im Netz ein hoher Wert.
Trotzdem, die kommunikativen Schnellschüsse, die Menschen verletzen und in ihrer Würde herabsetzen, müssen m.E. viel weniger werden.
Gerade dazu braucht es Bildung. Zuerst einmal bei jedem selber, der in die Tastatur greift. Indem ich die eigene Versuchung, mich auf andere einzuschießen, zivilisiere. Versuchungen zu widerstehen, bildet die Persönlichkeit. Und ist dringend notwendig für einen guten Umgang mit anderen Menschen.
Die biblische Urgeschichte einer Versuchung erzählt das:
Als Jesus in der Wüste vom Teufel versucht wird, reift in ihm die tiefe Überzeugung: Nein, ich lass mich nicht vom Teufel reiten. Und das heißt: Ich will meine große Begabung nicht dafür einsetzen, für mich zu glänzen und groß rauszukommen auf Kosten anderer, sondern dafür, dass ich Menschen gut tue. Wenn ich meine Macht egozentrisch missbrauchen würde, das wäre Verrat an meiner Berufung.'
Umgang mit anderen Menschen braucht Selbstbildung. Auch in der Kommunikation. Wenn wir von Angesicht zu Angesicht miteinander reden, schöpfen wir ja auch nicht alle unsere sprachlichen Möglichkeiten aus. Wir haben Standards gebildet, die dem Umgang miteinander angemessen sind. Und halten sie ein. In der Regel jedenfalls.
Ich hoffe, dass sich solche Standards auch im Internet herausbilden, wenn es erwachsen wird. Auf dem Weg dorthin kommt es wohl vor allem auf jeden Einzelnen an. Und unsere Bildung.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13293
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