SWR2 Wort zum Tag

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Ich gehe im Urlaub gern in alte Kirchen. Sie vielleicht auch. In alten Kirchen spüre ich Zweierlei - was zusammen genommen - bescheiden macht und ermutigt. Bescheidenheit steht zwar nicht sehr hoch im Kurs. Aber Bescheidenheit, die zugleich Mut macht, lebenswichtig. Die beiden Dinge, die ich in alten Kirchen wahrnehme, sind zum einen:
‚Nichts ist so beständig wie der Wandel' und zum anderen: Vieles von dem „Neuen", das eine Epoche stolz den nächsten hinterlässt, wird im Lauf der Zeit entzaubert.

1) „Nichts ist so beständig wie der Wandel": Vielleicht wundert es Sie, dass ich das sogar in alten Kirchen wahrnehme. Viele sehen sie eher als Hort der Zeitlosigkeit. Aber wenn man genau hinschaut, begreift man, wie viele Epochen an einer alten Kirche gebaut und sie lebendig gehalten haben. Eine alte Kirche hat viele Epochenringe, fast wie ein Baum: Die Krypta romanisch, das Schiff hohe Gotik. Der barocke Hochaltar lässt ahnen, wie heftig Reformation und Gegenreformation miteinander gerungen haben. Kirchenfenster aus dem 20. Jahrhundert erzählen auf ihre Weise vom Glauben. Wenn man sich dann noch klar macht, was aus so einer Kirche schon alles entfernt worden ist. Weil neue Zeiten es als altmodisch empfunden haben oder weil man meinte, dass es den Glauben verstellt; dann ist der Wandel mit Händen greifen.

2) Und das zweite, was man spürt:
Einzelne Epochen haben doch immer nur Spuren im Gesamtbauwerk hinterlassen; auch wenn sie selbst vielleicht gemeint haben, sie hätten alles erneuert, genauso wie sie ihre Lebensverhältnisse komplett modernisiert hätten." Aber der Wandel relativiert das „Neue" und überlagert es mit wieder neuen Schichten. Insofern erscheint mir so eine alte Kirche auch wie ein Symbol für eine Gesellschaft. Nichts ist so beständig wie der Wandel und der Beitrag jeder Epoche ist begrenzt. Das macht bescheiden, finde ich.

Aber diese Bescheidenheit macht auch Mut: Sie entlastet, weil man nicht meinen muss, dass man sein Bauwerk völlig neu erschaffen müsste. Das schützt davor, seine Möglichkeiten im Horizont der Zeiten zu überschätzen. Aber weil der Wandel so stetig ist, ist auch klar: Wenn Altes lebendig und zukunftsfähig bleiben soll, dann braucht es uns als mutige Zeitgenossen:
Komplexe „Bauwerke" - eine alte Kirche wie auch eine Gesellschaft - muss man erst einmal erhalten und pflegen. Dann kann man sie auch mutig verändern, ergänzen und erneuern, damit Menschen von heute in einer alten Kirche glauben und feiern können. Und in einer Gesellschaft leben. Vor allem auch die Generationen, die nach uns kommen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13292
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