Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Liebe ist: dem Mann die Hemden bügeln. Oh nein! Das kann man doch heute wirklich nicht mehr so sagen, das ist ja steinzeitlich! Aber manchmal trifft es doch zu: Bei uns im Krankenhaus liegt ein Mann, schwer krebskrank, wirkt etwas verwahrlost, hat eine Alkoholvergangenheit, bekommt sehr schlecht Luft, raucht trotzdem, kann nicht allein in seiner Wohnung bleiben, ist noch keine 60 und braucht einen Altenheimplatz oder Pflegeplatz. Bis der gefunden ist, liegt er bei uns, hat aber keine frische Wäsche und keine Hemden. Er kennt niemanden, der ihm da helfen könnte, wir gehen alle seine Bekannten durch. Er riecht selbst, dass er riecht, es ist ihm unangenehm. Als er jung und gesund war, hatte er eine Arbeit,  Frau und Familie, da waren Zigaretten und Alkohol  kein Problem. Aber nach der Scheidung rutschte er Jahr für Jahr weiter ab. Die Frau war eine Nette, er hat auch ihre Handynummer noch. Ob er die mal anruft? Falls er an dem Tumor bald verstirbt, könnte er sich doch wenigstens von ihr verabschieden. Und ihr noch mal sagen, dass die Zeit mit ihr seine beste Zeit gewesen ist. Tatsächlich, die Frau lässt sich ansprechen, sie besucht ihn, fragt sogar, ob sie was für ihn tun kann. Er ziert sich erst, aber sie kennt ihn ja und sieht, wie er aussieht und weiß, dass er früher sehr gepflegt war. Sie wäscht seine Hemden, gibt Weichspüler dazu, bügelt sie sorgfältig und bringt ihm dann eine Tüte duftender Hemden ins Krankenhaus. Er hat geduscht und sich rasiert und mit dem frischen Hemd sieht er fast wieder so aus wie zu seinen besten Zeiten. Die beiden haben sich einiges zu erzählen. Und ich werde beim nächsten Bügeln dran denken: Es ist  nicht nur eine lästige Pflicht, sondern kann auch Fürsorge oder sogar Liebe sein.

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