SWR2 Wort zum Tag

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»Froschkopf«. So heißt das fehlgebildete, totgeborene Kind, das in der Berliner Charité, dem berühmtesten Krankenhaus der Hauptstadt zu finden ist. »Frosch-kopf« wird dort in einem großen Glas aufbewahrt. Es besitzt kein Großhirn, war nie lebensfähig und erinnert von seinem Aussehen her entfernt an einen Frosch. Daher sein Name.
Als ich ein Foto des Kindes sah, musste ich mich fragen: Was soll ich von einem solchen Kind halten? Im Mittelalter war die Antwort klar. Der fehlende Finger, der krumme Arm, das blinde Auge: all das waren Zeichen. Zeichen besonderer Bega-bung oder auch Zeichen göttlichen Willens. Heute funktioniert ein solches Zei-chenverständnis nicht mehr. Eine Krankheit als Zeichen oder sogar als Ausdruck göttlichen Willens? Das finde ich menschenverachtend. Aber was kann uns dann ein missgebildetes Kind mitteilen?
Ich glaube, ein Kind wie »Froschkopf« hilft, den Menschen besser zu verstehen. Zunächst ist festzuhalten: Dass überhaupt Menschen entstehen, ist eigentlich ein Wunder. So störanfällig ist der Prozess der Menschenwerdung. Normal wäre es da eigentlich, dass immer wieder besonderes oder merkwürdiges Leben entsteht. Ein Mensch wie »Froschkopf« erzählt davon, wie schmal der Grad zwischen Normalität und Abweichung ist.
Was aber ist normal? Eine Frage, die das Christentum schon lange beschäftigt. Unter dem Begriff der Schöpfung. Hier gilt der Grundsatz: Der Schöpfung ist nichts fremd. Sicher: Christen haben missgebildete Menschen als Monster ver-spottet oder mit dem Teufel in Verbindung gebracht. Doch diese Zeiten sind, Gott sei Dank, vorbei.
Zwei Gedanken sind mir wichtig. Zunächst einmal: Gott nimmt alles an, was in der Schöpfung vorkommt. Egal, ob scheinbar normal, gesund oder behindert. Die Unterschiede zwischen Menschen sind unwesentlich, weil alle Teil der Schöpfung sind. Und alle haben ein Recht, ihr Leben so gut es geht zu leben. Zum anderen: Ich glaube, dass der so genannte normale oder nicht-behinderte Mensch viel von einem behinderten Menschen lernen kann. Zum Beispiel: Welche Bandbreite das Leben hat. Behinderte Menschen erzählen mir davon, wie interessant und span-nend das Leben jenseits der scheinbaren Normalität ist. Und ein Kind wie »Froschkopf« lehrt außerdem, dass ein perfekter Körper und Traummaße eben auch nicht mehr sind als eine Laune der Natur.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1307
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