SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Manchmal hab ich sie verflucht. Meine Familie. Und manchmal hat sie mich gerettet. Verflucht habe ich sie vor allem in der Pubertät. Eltern, die einem vorschreiben, was zu tun ist, und einem meistens das verbieten, was Spaß macht und interessant ist. Geschwister, die einen nicht verstehen und höchstens ärgern können. Doch gerettet hat mich die Familie auch. Damals zum Beispiel, als meine Frau einen schweren Fahrradunfall hatte und meine Eltern und Geschwister zur Stelle waren. Um zu trösten. Um uns zu besuchen. Um sich zu kümmern.
An beides denke ich heute. Denn heute ist der internationale Tag der Familie. Seit 1993 wird er weltweit am 15. Mai gefeiert. Die UNO hat ihn ins Leben gerufen. Der Tag soll vor allem bewusst machen: Die Familie bildet eine wichtige Einheit der Gesellschaft. Und: Die öffentliche Unterstützung für Familien soll verstärken werden.
Zu Recht: Denn ohne Familie läuft wenig. Wenn alles gut läuft, dann erfahren Kinder und Jugendliche in der Familie Nähe und Geborgenheit, Verlässlichkeit und Solidarität. Sie lernen das Einmaleins des Lebens. Sie können ihre Talente entwi-keln. Sie lernen, Rücksicht zu nehmen. Sie kommen mit Gott und der Welt in Kontakt.
Doch Familie hat auch eine Kehrseite: Familie ist der Ort, an dem in vielen Ländern Kinder ausgebeutet werden. Familie ist der Ort, an dem vor allem Frauen Gewalt erfahren. Und schließlich: Familie ist ein kostbares Unternehmen – im doppelten Sinne. Denn Kinder brauchen Zeit und Geld. Es kostet Energie und Anstrengung, sie groß zu ziehen. Und immer noch ist es etwa bei uns schwer, Fami-lie und Beruf zu verbinden. Und immer noch ist Arbeitslosigkeit bei uns eine Katastrophe für Familien. Tatsache ist: Kinder sind ein Armutsrisiko.
Im Christentum steht übrigens auch eine Familie im Mittelpunkt: Eine fast schon moderne Ein-Kind-Familie. Mit Josef, Maria und Jesus. Und diese Familie erlebt auch alles andere als eine heile Welt. Zu ihr gehören eine uneheliche Geburt, Ar-mut, Verfolgung und Flucht. Zu ihr gehören Konflikte: Etwa zwischen Jesus und seiner Familie. Und zu ihr gehören auch Eltern, die zu ihrem Kind halten. Die da sind, als es diesem Jesus richtig dreckig geht, als er stirbt.
Dass bei der Heiligen Familie nicht alle heilig ist, ist ein Grund mehr, sich über die Familie Gedanken zu machen. Denn trotz der vielen Familienformen, die es heute gibt und trotz unterschiedlicher Familienerfahrungen: Ich glaube, dass wir Familie brauchen. Mit all ihren Chancen und Fehlern. Weil Menschen Gemeinschaft und Beziehungen brauchen. Weil sie Menschen brauchen, an denen sie sich reiben können. Um zu wachsen. Ein Leben lang.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1306
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