SWR2 Wort zum Tag

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Lateinamerika liegt um die Ecke. Glauben Sie nicht? Sehen Sie selbst! In den letz-ten Tagen brachte der Papstbesuch in Brasilien auch den ganzen Kontinent in die Schlagzeilen. Waren aller Art kommen aus Chile oder Ecuador zu uns. Fußballspie-ler aus Argentinien kicken in der Bundesliga. Und wer über Klimaschutz redet, muss über die Regenwälder Südamerikas reden. Lateinamerika liegt tatsächlich nebenan.
Aber Lateinamerika ist auch ganz, ganz weit weg. Nicht nur ein paar tausend Ki-lometer. Denn Lateinamerika ist ein ganz anderer Kontinent. Ein Kontinent voller Gegensätze. Über 200 Millionen Menschen leben in bitterer Armut und Elend. Und gleichzeitig besitzen die 500 reichsten Menschen mehr als die Hälfte der Gesamt-bevölkerung. Diese krasse Ungleichheit hat Folgen. Die politische und wirtschaftli-che Macht liegt seit Jahrhunderten in der Hand einiger weniger Familien. Korrupti-on und Gewalt sind allgegenwärtig.
Für die schreiende Ungerechtigkeit in Lateinamerika war die katholische Kirche lange taub. Sie stellte sich oft auf die Seite der Herrschenden. Doch nach dem zweiten Weltkrieg wendete sich langsam das Blatt. Schlagworte wie »Basisge-meinde« oder die »Theologie der Befreiung« stehen für diesen Wandel. Selbst die Bischöfe erkannten den tiefen Graben zwischen der unmenschlichen Situation der Armut und dem Gauben an einen befreienden Gott. Gott, das legt die Bibel mehr als nahe, Gott will freie und befreite Menschen. Die Konsequenz für die Kirche: die so genannte »Option für die Armen«. Das meint den Einsatz für die Menschen, die arm sind: materiell arm, ungebildet, entrechtet, unterdrückt.
Das Engagement für die Armen und Unterdrückten hatte Konsequenzen: In La-teinamerika wurden in den letzten vierzig Jahren Tausende Christen ermordet. Gläubige und Bischöfe, Priester und Laien, die sich für Gerechtigkeit in einer un-gerechten Gesellschaft einsetzen.
Seit gestern treffen sich im brasilianischen Aparecida alle lateinamerikanischen Bischöfe. Sie werden sich auch wieder der Frage nach der Gerechtigkeit auf ihrem Kontinent widmen. Eine Frage, die auch mich nicht los lässt. Wie kann ich für Ge-rechtigkeit sorgen? In Lateinamerika? Oder hier?
Ich finde die »Option für die Armen« sehr hilfreich. Gott ist ein Gott, der sich für die Unterdrückten einsetzt. Warum soll ich also nicht auch etwas tun? Sicher: die Welt kann ich nicht ändern. Aber ich kann einfach sehen, wo Menschen Not leiden und Hilfe brauchen. Auch in Lateinamerika. Denn Lateinamerika liegt wirklich um die Ecke. Und wenn es nur im Eine-Welt-Laden ist.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1305
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