SWR2 Wort zum Sonntag

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Am heutigen Sonntag führt eine Sternwallfahrt nach Trier zu einem ganz besonderen Überbleibsel, zu einer besonderen Reliquie. Zur Tunika Jesu Christi, seinem letzten Gewand. Auch ich als Bischof von Speyer bin in diesen Tagen mit einer großen Gruppe aus der Diözese in das Speyerer Nachbarbistum gepilgert. Manche fragen sich vielleicht: Sind Wallfahrten heute noch zeitgemäß? Ich bin davon überzeugt und daher möchte ich heute mit Ihnen über das Pilgern nachdenken. Das Leitwort der Wallfahrt zur Heilig-Rock-Reliquie „Und führe zusammen, was getrennt ist!" verweist uns auf die große Einheitsvision im 11. Kapitel des Johannesevangeliums. „Die versprengten Kinder Gottes" werden durch den Tod und die Auferstehung Jesu zu einem Volk gesammelt und zu Gott heimgeführt. Im Horizont dieser Vision der Einheit aller Christen stand und steht auch die Wallfahrt zur Tunika Christi. Der nahtlose heilige Rock Jesu wurde vor genau 500 Jahren auf Wunsch des deutschen Kaisers Maximilian I. erstmals der Öffentlichkeit gezeigt - er ist ein Ausdruck der in ihrem Wesen ungeteilten Christenheit. Auf ihrem Weg zu dieser Reliquie beten die Gläubigen im Pilgergebet: "Jesus Christus, Heiland und Erlöser, erbarme dich über uns und die ganze Welt. Gedenke deiner Christenheit und führe zusammen, was getrennt ist. Amen!" Auch wenn der Heilige Rock ein Zeichen des göttlichen Heiles ist, so leben wir Menschen heute doch in einer oft unheilen Welt. Wir sind zwar beständig auf dem Weg zur Begegnung mit dem lebendigen Gott, der jedoch allzu oft wie tot erscheint, und so mancher hat ihn aus seinem Herzen verloren. Wer pilgert, der setzt nun dem Fragezeichen des Zweifels das Ausrufezeichen des Glaubens und der Hoffnung entgegen: Gott führt sein Volk wirklich zu sich. Er führt es nach Hause, weil er ein Gott der Liebe ist. Dies meinen wir, wenn wir von der Vollendung des irdischen Lebens sprechen, welches das Ziel der Pilgerschaft des ganzen Lebens ist: Ankommen in der Heimat. Für die Pilger ist Trier darum nur das Etappenziel auf einer größeren Pilgerreise. Der hl. Augustinus hat es einmal so gesagt: Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in Dir. In diesem Jahr sind auch unsere evangelischen Glaubensgeschwister an der Wallfahrt zum heiligen Rock beteiligt. Das ist ein schönes Zeichen der ökumenischen Verbundenheit. Es ist Ausdruck der Hoffnung, dass die Vision der Einheit in und durch Christus einmal auch zur Einheit der getrennten Konfessionen werde. Das Pilgern erdet gewissermaßen den Himmel. Es verbindet uns mit dem Ruf Jesu in die Nachfolge, der uns mitten im Leben erreicht. Für Jesu Jünger war dieser Ruf so umwerfend, dass sie sofort alles Sichere, alles Bekannte hinter sich gelassen haben und ihm gefolgt sind. Was würde der Weg bringen, welche Gefahren würden lauern? Diese Fragen standen für sie nicht im Vordergrund. Die Faszination des Abenteuers, des Lebenswagnisses war größer. Das Ausrufezeichen des Glaubens, radiert das Fragezeichen des Zweifels zwar nicht aus. Aber es lässt das Fragezeichen allmählich verblassen, weil es mit größerem und dickeren Strich, weil es mit Herzensblut geschrieben ist. Das Ausrufezeichen des Glaubens kann den Menschen im innersten Wesenskern treffen, so sehr, dass es einen wirklichen Neuanfang ermöglichen kann. Nicht selten verbindet sich ein persönlicher Wallfahrtsweg deshalb auch mit der  Bitte um Vergebung und eben diesen Neuanfang. Seit Hape Kerkelings Erfahrungsbericht „Ich bin dann mal weg" haben viele Menschen das Pilgern neu entdeckt. Kerkeling schreibt von der „reinigenden Kraft des Pilgerweges". Ich glaube, dass jeder Mensch sie in besonders eindrücklicher und nachhaltiger Weise erfährt, der auf seinem Weg prinzipiell offen für Gott ist. Der Gott erlaubt, Kompass und Karte zu sein. Gott führt die, die sich aufmachen, immer tiefer in den Glauben ein und bringt sie dadurch dann auch zu sich selbst, damit sie ihn als das Ziel ihrer Pilgerschaft erkennen können. Diese Erkenntnis lädt uns auch über die Heilig-Rock-Wallfahrt zum Pilgern, zum Neuaufbruch im Glauben ein.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13003
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