SWR2 Wort zum Tag

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„Wie wollen wir leben?" Des Philosoph Peter Bieri[1] schreibt sonst Romane, unter dem Namen Pascal Mercier. Diesmal ein philosophisches Buch zu Grundfragen unseres Menschseins, die uns ein Leben lang begleiten.
„Wie wollen wir leben?" Wir wollen in Würde leben. Das ist ein elementarer Wunsch jedes Menschen. Dass unsere Würde als Mensch geachtet und nicht beschädigt wird, steht als höchstes Rechtsgut am Anfang unserer Verfassung. Die  Menschenwürde kommt jedem zu, unabhängig von seinen konkreten Lebensumständen und seinen persönlichen Verdiensten - allein deshalb, weil er ein Mensch ist. Was aber bedeutet das: Menschenwürde? Es gibt dafür viele  Definitionen - und alle bleiben unzureichend. Denn es geht letztlich um das tiefste Geheimnis jedes einzelnen Menschen. Das lässt sich nicht definieren, und darüber lässt sich nicht verfügen. Nach biblischem Verständnis sprechen wir vom Bild Gottes in jedem Menschen. Gewiss kennen wir vieles, was Menschen entwürdigt. Ungezählte werden unterdrückt und ihrer Freiheit beraubt, leben in Existenz bedrohender Armut, werden gedemütigt und verhöhnt. Ungezählte leiden unerträglich. Manchmal trage ich selbst zur Entwürdigung anderer Menschen bei und beschädige dadurch auch meine eigene Würde. Was heißt das aber, als Mensch würdig leben? Gewiss: eine gesicherte Existenz, ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung erleichtern dies wohl. Aber kann ein Mensch nicht auch in Unfreiheit, in Armut, in hilflosem Leiden seine Würde bewahren, ja vielleicht sogar finden? Ich bin manchem Menschen begegnet, der Würde ausstrahlt. Sie ist nichts Äußerliches, sondern sie kommt aus dem Inneren, aus der Tiefe der Person. Vielleicht hat sie etwas mit Lebenserfahrung, mit Reife zu tun. Vor allem aber, so denke ich, kommt sie daher, dass ein Mensch authentisch ist. Dass er ein Bild von einem glaubwürdigen Leben in sich ausformt und dass er diesem Bild treu bleibt. Dieses Bild ist so unverwechselbar wie jeder Mensch unverwechselbar und einmalig ist. Es kann sich im Laufe des Lebens weiter entwickeln - durch glückliche Erfahrungen ebenso wie durch Leid. Es kann auch durch Versagen und Schuld getrübt werden. Aber entscheidend ist, dass ich es nie aus den Augen verliere und mich immer wieder auf den Weg dorthin mache.


[1]Peter Bieri, Wie wollen wir leben?, St. Pölten-Salzburg (Residenz-Verlag), 4. Aufl. 2011.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12975
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