SWR2 Wort zum Tag

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„Wie wollen wir leben?" So heißt ein Buch des Philosophen Peter Bieri. Ich kannte ihn bisher unter dem Pseudonym Pascal Mercier. Von ihm stammt unter anderem der Roman „Nachtzug nach Lissabon".
„Wie wollen wir leben?" In den kommenden Tagen werde ich einigen Gedanken nachgehen, die dieser Buchtitel in mir anstößt. Eigentlich muss ich fragen: „Wie will ich leben?" Und nur ich selbst kann darauf versuchen zu antworten. Welche Richtung will ich meinem Leben geben? Woran will ich mich orientieren, was ist mir wichtig und was nicht? Aber gilt das, was für mich verbindlich ist, nur für mich? Oder geht es nicht doch um das, was uns an Werten gemeinsam ist und was uns verbindet? Darum, was in einer Kultur des Miteinander verbindlich ist? Fragen über Fragen. Fragen, die mich ein Leben lang beschäftigen und immer wieder Antworten von mir verlangen. Wie will ich leben? Diese Frage setzt voraus, dass ich selbstbestimmt leben kann. Dass ich frei bin von Zwängen. Sie setzt auch voraus, dass ich mich kenne, dass ich weiß, wer ich bin, woher ich komme und wohin ich gehen will. Aber weiß ich das wirklich? Durchschaue und beherrsche ich die genetischen Bedingungen, die familiären und sozialen Wurzeln, die mich zu dem machen, der ich bin? Erkenne ich meine tiefsten Wünsche und Sehnsüchte? Höre ich in all dem Lärm und den vielfältigen Einflüssen, die mich bestürmen, überhaupt noch meine eigene Stimme und folge ich ihr? Und doch bin ich dazu aufgerufen, mein Leben in Freiheit in die Hand zu nehmen und zu gestalten. Letztlich kann ich aber über mein Leben nicht verfügen. Trotz aller Wünsche und Pläne überblicke ich kaum den kommenden Tag, geschweige denn meine Zukunft. Sie kommt immer als etwas Offenes, Unverfügbares auf mich zu. Das kann mich ängstigen und tut es manchmal auch. Ich kann im Geheimnis meiner Zukunft aber auch immer wieder die Chance gelingenden Lebens sehen, die ich neugierig und mit Vertrauen ergreife. Ich glaube daran, dass ich frei bin und dass ich trotz aller Zwänge und Unfreiheiten für mich und mein Leben verantwortlich bin. Dafür wünsche ich mir die nötige Entschiedenheit. Ich weiß aber auch, dass ich weder über meine Herkunft noch über meine Zukunft verfügen kann. Und ich wünsche mir die nötige Gelassenheit, beides anzunehmen.

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