SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Früher konnte ich das Seufzen der Erwachsenen nicht ausstehen. Die seufzten über meine Welt. Was ich höre, wie ich rede, was ich mache. Noch heute höre ich, wie meine Mutter mit der flachen Hand auf das Treppengeländer klopft, damit ich endlich meine Musik leiser stelle. Die dröhnte nämlich bis in den Keller. Heute höre ich mich manchmal selbst seufzen: In was für einer Welt lebe ich eigentlich? Denn die Welt der Jugendlichen von heute wird mir auch fremd. Ich spüre deutlich: In der Welt unserer Kinder gibt es unheimlich viel, was ich nicht kenne, nicht verstehe, was weit weg ist von mir. Das fängt bei so etwas Banalem wie der Begrüßung an. Wie unsere Kinder ihre Kumpel begrüßen, mit bestimmten Floskeln, mit mysteriösen Handbewegungen, das ist mir - leider - fremd. Oder eben die Musik: Früher habe ich die Lieder aus den Charts gekannt. Und obwohl ich viel Radio höre, mir im Netz viele neue Songs ansehe, sagen mir doch viele Namen der angesagten Popstars nichts. Was mich tröstet. Dass es meinen Eltern schon so ging - und vielen vielen Generationen vor mir. Immer wieder lagen Welten zwischen Alt und Jung. Heute allerdings hat sich die Lage verschärft. Unsere Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sich permanent etwas verändert. Und immer schneller. Die Begrüßung von heute ist schnell die Begrüßung von gestern. Die Musik von heute ist übermorgen schon wieder fade. Das Tempo, in dem sich unsere Welt verändert, überfordert viele. Vor allem für den Glauben ist diese Situation schwierig. Denn Glaube bezieht sich in fast allen Religionen, auf die Vergangenheit. Auf einen Religionsgründer, auf Traditionen, die sich herausgebildet haben. Glaube findet einen Ort in Kirchen, die jahrhundertealt sind, in Liedern, die schon die Urgroßeltern sangen. Die sich immer schneller verändernde Welt und der Glaube, das scheint nicht zusammenzupassen. Gerade das aber finde ich spannend. Schon Jesus konfrontiert ja die Menschen seiner Zeit mit einem neuen, einem anderen Glauben. Und immer wieder wird der christliche Glaube durch die Jahrhunderte hinweg neu ausbuchstabiert. So wie sich Welt verändert, so veränderte sich der Glaube - und manchmal verändert auch der Glaube die Welt. Etwa in der Reformationszeit. Und immer haben Menschen neue Antworten auf die Fragen der Zeit gefunden. Neue Glaubensantworten. Mir macht das Mut. Mut, nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern selbst zu suchen, was diese Welt ausmacht, was den Glauben ausmacht - und wie ich mein Leben in Auseinandersetzung mit Gott und der Welt leben kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12953
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