SWR2 Wort zum Tag

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„Gerechtigkeit und Toleranz sind unteilbar", so sagte der deutsche Parlamentarier Ludwig Windthorst, dessen 200. Geburtstag dieses Jahr gefeiert wird. Wie kaum ein anderer setzte er sich zu seiner Zeit für die Pressefreiheit, die Zivilgesellschaft, die Rechte von Minderheiten und die Unabhängigkeit der Parlamente ein. Und wenn er davon sprach, dass Gerechtigkeit unteilbar ist, dann lag dem sein christliches Menschenbild zugrunde und die traditionelle Lehre von den vier Kardinaltugenden. Die Gerechtigkeit gehört dazu zusammen mit Klugheit, Tapferkeit und Maß. Sie spielen seit der Antike in Philosophie und Theologie eine wichtige Rolle. Immer geht es dabei um die Frage, wie das Leben glücken kann, um geglückte Lebensführung. Gleichzeitig kommt aber auch die Gesellschaft und das Wohl aller in den Blick. Ich finde, dass dieses Gemeinwohl in vielen Lebensbereichen immer weiter ausgeblendet wird. Wenn an den Börsen mit Agrarrohstoffen spekuliert wird, bedeutet dies für Millionen von Menschen in Entwicklungsländern, dass Lebensmittel noch teurer und der Hunger noch größer wird. Die Logik der Finanzmärkte scheint aber solche Überlegungen nicht zu kennen. Weil es eben eine Logik ist, die nur für den eigenen Bereich gilt. Wenn politischen Parteien nur ihre eigene Klientel bedienen, tun sie dies auf der Suche nach Wählerstimmen. Sie verlieren das Ganze der Gesellschaft ebenso aus den Augen wie die Wähler, die nur die Partei wählen, die ihrem eigenen Interesse dienen. Und auch in den Gerichtssälen geht es meist nur noch um das Kalkül, für den eigenen Mandanten das bestmögliche herauszuschlagen. Die Gerechtigkeit bleibt dabei auf der Strecke. So huldigen wir immer mehr dem Prinzip der Professionalität nach dem Motto: Solange du deinen Job professionell machst, machst du ihn gut. Ich bin überzeugt, dass dieser Weg in eine Sackgasse führt. Wir müssen uns weiter auf die Suche machen nach dem guten Leben für alle - gerade heute, wo die Gesellschaft immer mehr zu einer Welt-Gesellschaft wird. Da tut es Not, sich an Ludwig Windthorst zu erinnern, denn seine Worte sind heute mindestens so aktuell wie sie es im 19. Jahrhundert waren. Gerechtigkeit war unteilbar und sie bleibt unteilbar.

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12939
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