SWR2 Wort zum Tag

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Wenn ich mich heute frage, wie mein Leben gelingen kann, sehe ich mich vor einem Tableau vieler Angebote und Möglichkeiten, die sich mir zur Wahl stellen. Jahrhunderte lang waren die Tugenden Maß- und Richtschnur für ein gutes Leben. Heute haftet ihnen auf den ersten Blick etwas Altmodisches an - und doch werden sie immer wieder neu entdeckt, vielleicht gerade weil sie altbewährt sind. Im vergangenen Monat etwa widmete das Fernsehen eine ganze Sendereihe den sogenannten „Kardinaltugenden" Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß.
Dieser Vierklang stammt ursprünglich aus der griechischen Philosophie, spielte dann aber in der Geschichte der christlichen Lehre eine sehr wichtige Rolle. Die Kardinaltugenden erzählen davon, wie das Leben glücken kann. Sie beschreiben eine geglückte Lebensführung - man spricht heute oft auch vom Lebens-Stil. 
Die Gerechtigkeit ist dabei die Tugend, die am meisten diskutiert wird - nicht zuletzt natürlich deshalb, weil sie in so vielen politischen Programmen vorkommt. Da geht es dann z.B. darum, ob Menschen für ihre Arbeit den Lohn bekommen, der ihnen zusteht. Immer mehr Arbeitnehmer bekommen etwa für einen Fulltime-Job weniger, als sie zum Leben brauchen. Ich empfinde das als zutiefst ungerecht und bin überzeugt, dass wir Dumping-Löhne politisch bekämpfen und gesellschaftlich ächten müssen.
Seltener wird darüber diskutiert, was es im Leben des Einzelnen bedeutet, gerecht zu sein. Wie kann ich meinen Mitmenschen gerecht werden, meiner Familie, meinen Freunden, Bekannten, Arbeitskollegen? Wie viel meiner Zeit, Aufmerksamkeit oder tätiger Hilfe brauchen diese Menschen und wie viel davon gestehe ich ihnen zu. Diese Fragen können anstrengend, vielleicht lästig sein. Aber ich spüre doch, dass diese Anstrengung einen großen Wert hat - für die anderen und für mich selbst. Ich bin überzeugt davon, dass Gott uns allen einen Sinn für Gerechtigkeit mitgegeben hat. Deshalb bin ich glücklich, wenn ich anderen das gegeben habe, was sie brauchen und was ihnen zusteht. Gerechtigkeit ist also nicht nur eine Tugend, die Forderungen an mich stellt, sondern sie macht auch glücklich und zufrieden. Und auch wenn ich mich im Einzelfall gegen den eigenen Vorteil und für das Recht eines Anderen einsetze, werde ich somit belohnt - mit dem guten Gefühl nämlich, gerecht gehandelt zu haben.

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12938
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