SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

„Was für eine Rabenmutter! Der ihr Kind ist doch ein regelrechtes Schlüsselkind!" So sagt man allzu oft bei uns zu einer Mutter, die einfach arbeiten geht und ihr Kind alleine lässt.
Allgemeines Kopfschütteln. Empörung. Unverständnis.
Es ist interessant, aber im Französischen gibt es diese Worte nicht: Rabenmutter, Schlüsselkind. Gut, die wirtschaftliche Situation in Frankreich ließe es auch nicht zu, dass Mütter und Väter längere Zeit zu Hause bei ihren Kindern bleiben. Und so teilt man sich halt die Verantwortung: mit Omas und Opas, mit einer nourrice, einer Tagesmutter und den Frauen der vielen Minikinderhorte, mit Lehrern und Pädagogen. Man hat gar nicht den Anspruch, dass eine Mutter für ihr Kind rund um die Uhr zur Verfügung steht. Und so gibt es auch keine Rabenmutter.
Die Bibel erzählt von so einer angeblichen Rabenmutter. Sie heißt Hannah.
Es fängt alles damit an, dass Hannah kein Kind bekommt.
In dieser tragischen Situation sucht Hannah Hilfe, sie geht in den Tempel, sie betet zu Gott, sie spricht mit einem Priester. Sie verspricht Gott und dem Priester, sollte sie wirklich ein Kind bekommen, solle er im Tempel bei Gott aufwachsen. Und tatsächlich, Hannah wird schwanger. Ein kleiner Junge, Samuel kommt zur Welt und als er ungefähr drei Jahre alt ist, gibt sie ihn also dem Priester und lässt Samuel im Tempel zurück.
Für uns nur schwer vorstellbar: ein dreijähriger Junge! Der gehört doch zu seiner Mutter! Was für eine Rabenmutter, diese Hannah! Oder?
Die Bibel erzählt, dass sie den kleinen, heranwachsenden Samuel Jahr für Jahr besucht. Und dass Hannah noch mehrfach wieder schwanger wird. Die Bibel erzählt nichts von Hannahs Gefühlen, von ihren Fragen und Zweifeln. Vielleicht hat sie auch einfach Gott und dem Priester vertraut und mit ihnen die Verantwortung für den kleinen Samuel geteilt.

1. Samuel 1ff.
Margot Käßmann, Mütter der Bibel; Verlag Herder GmbH 2010.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12936
weiterlesen...