Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Schwäche zeigen: bloß nicht! Jeder wird mich über den Tisch ziehen. Mein Vorgesetzter wird denken, er kann mit mir machen, was er will. In der Familie bin ich endgültig der Fußabtreter für alle. Wo ich nachgebe, werden die anderen es hemmungslos ausnutzen. Reiche ich den kleinen Finger, nehmen sie die ganze Hand. Gebe ich einen Fehler zu, kann ich mir bald einen neuen Job suchen!
Aber kann ich denn immer stark sein? Was mache ich mit der Schwäche, die ich fühle? Bei wem darf ich mir erlauben, meine Schwäche einzugestehen? Ohne Angst, dass andere nachgreifen und noch nach mir treten?
Im 71. Psalm steht die kurze Bitte: "Verlass mich nicht, wenn ich schwach werde!" (Ps 71,9) Irgendwann werden wir alle einmal schwach. Irgendwann im Laufe dieses einen Dienstags können Sie oder ich einen Moment erleben, wo wir denken: Mist, da ist etwas schiefgegangen! Hoffentlich merkt es keiner! Oder: Ich bin hier überfragt! Ich weiß das nicht, ich kann es nicht! Was jetzt?
"Verlass mich nicht, wenn ich schwach werde!" Eine Bitte an Gott. Gott ist die Kraft, die mich hält, wenn ich keinen Halt mehr spüre. Wenn ich mich schwach und hilflos fühle. Wenn mir der Boden unter den Füßen fortgezogen wird und mir einen Moment die Luft wegbleibt. "Verlass mich nicht!" Im Psalm ist das die Bitte eines alten Menschen. Doch auch Jüngere können sich so verlassen fühlen. Ich weiß noch gut, wie verlassen und schwach ich mich oft in der Schule gefühlt habe.
Der Mensch, der diesen Psalm betet, erinnert sich daran, wie Gott ihn in anderen Situationen gestützt und stark gemacht hat. "Verlass mich nicht, wenn ich schwach werde!", bittet er. Doch nur wenige Sätze später sagt er schon: "Ich gehe einher in der Kraft Gottes." Das Gebet hat ihm Kraft gegeben. Er hat neues Vertrauen. Jetzt ist es nicht mehr schlimm, wenn er schwach wird.
Nicht jeder kann so umstandslos und vertrauensvoll mit Gott sprechen. Doch eines kann ich auch ohne Worte: mich einlassen auf meine Schwäche, im festen Vertrauen darauf, nicht mutterseelenallein zu stehen. Mir Kraft schenken lassen. Und selbstbewusst zu meiner Schwäche stehen. Nobody is perfect!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12913
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