SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

„Hilf doch, Gott!" - Wie oft wurde dieses Gebet schon zum Himmel geschrien! In den Zimmern der Krankenhäuser, wenn die Ärzte mit ihrem Latein am Ende waren.
„Hilf doch, Gott!" Wie oft haben das Kinder oder Eheleute gebetet, wenn es gekriselt hat in der Beziehung - und die Ehe ist dann doch auseinander gegangen.
„Hilf doch!" Wie oft wird dieses Gebet gesprochen ... und wie oft wurden die Hoffnungen enttäuscht. Heute wie damals vor zweitausend Jahren. Der Palmsonntag heute erinnert, wie das war, damals, zurzeit Jesu:
In Jerusalem ging das Gerücht um: Er kommt in die Stadt. Der Mann aus Galiläa. Der Wunderheiler. Der Hungrige satt macht und Kranke gesund - Jesus. Der kommt zum Fest!
Und tatsächlich: Aus der Ferne kündigt sich schon sein Kommen an. Da sind die Menschen nicht mehr zu halten. Sie legen Kleider auf den Weg - wie einen roten Teppich. Sie winken mit Palmzweigen und rufen:  „Hosianna!" - zu Deutsch: „Hilf, Herr!" Übrigens kommt daher der Name „Palmsonntag".
Ich stelle mir den Einzug Jesu in Jerusalem nicht als ein heiteres Volksfest vor. Nicht wie bei einem Kirmesumzug, wo die Menschen fröhlich winken und ausgelassen feiern.
An jenem Palmsonntag in Jerusalem war die Welt nicht in Ordnung. Die Stimmung war aufgeheizt. Die Menschen hatten die Nase voll von den Römern im Land.
In diesem Ruf „Hosianna! - Hilf doch!" liegt ihre ganze Sehnsucht nach Freiheit, nach Erlösung von der römischen Besatzung. Und in dieses „Hosianna" legen sie all ihre Hoffnungen, all ihre Träume, all ihre Erwartungen.
Jetzt war es soweit. Der Tag der Erlösung war da. Jesus hatte schon so viele Wunder getan. Endlich kommt der Retter auch nach Jerusalem. In die Hauptstadt. Ins Zentrum der Macht.
Jetzt wird Jesus das größte Wunder vollbringen. Jetzt wird er die Besatzer aus dem Land werfen. Die Erlösung, die Freiheit - zum Greifen nah! „Gelobt sei der da kommt. Hosianna! - Hilf, Herr!"
Die Menschen feiern. Aber es war kein fröhlicher, kein unbeschwerter Jubel. Das „Hosianna - Hilf, Herr!" war wirklich ein Hilferuf. Sie wussten keinen anderen Weg mehr. Wer könnte ihnen noch helfen, wenn nicht er?
Die Menschen haben in Jesus den neuen König gesehen. „Hosianna! - Hilf, Herr!" Eindringlicher kann die Bitte nicht sein!
Und Jesus? Was macht Jesus? Er lässt sich nicht auf die Schultern der jubelnden Massen heben. Jesus streckt die Faust nicht in den Himmel - wie es die politischen Revolutionäre tun. Er macht kein Victory-Zeichen, keine Siegesgeste.
Jesus ergreift nicht couragiert das Wort, hält keine Kampfesrede. Er verjagt die Soldaten nicht. Es scheint, als prallt der Hilferuf ungehört an ihm ab.

Wie in einem Triumphzug reitet Jesus in Jerusalem ein. Die Menschen sehen in ihm den neuen König. Er soll ihnen Gerechtigkeit und Freiheit bringen.
Doch Jesus kommt nicht in die Stadt und wirft wie von einem Festumzugswagen Wohltaten wie Süßigkeiten unters Volk.
Er besteigt einen Esel und reitet durch das Tor - so als wollte er sagen: „Macht mich nicht zu dem, der ich nicht bin!"
Das ist die große Enttäuschung: Mit dem Einzug in Jerusalem erfüllt Jesus nicht die Wünsche des Volkes, sondern er erfüllt den Willen Gottes. Das ist ein wichtiger Unterschied.
Die Menschen haben das nicht begriffen. Vielleicht auch nicht begreifen wollen. Sie waren mit ihrem „Hosianna, hilf doch!"- Geschreie so sehr mit sich selbst beschäftigt und mit ihrem Kummer, mit ihrem Leid.
Wenige Tage später haben sie dann festge­stellt: Dieser Mann bringt's nicht. Jedenfalls nicht das, was wir erhofft haben. Und da kippt die Stimmung.
Diese Enttäuschung haben sie nicht verkraftet. Und die, die eben noch geschrien haben: „Hosianna - Hilf, Herr", die schreien ein paar Tage später: „Weg mit dem. Ans Kreuz mit ihm!"
Ich muss zugeben: Bei mir ist das manchmal ganz ähnlich. Wenn ich zu Gott rufe: „Hosianna, hilf doch!" und dann feststelle: Gott geht nicht so auf meine Wünsche ein, wie ich mir das vorstelle. Das kann enttäuschend sein. Das kann auch richtig weh tun.
Und ich überlege mir: Was wäre gewesen, wenn Jesus auf die Wünsche der Leute damals eingegangen wäre?
Vielleicht hätte er die Römer wirklich aus dem Land vertrieben. Vielleicht wäre Jesus ein gerechter Herrscher gewesen. Und vielleicht hätte das Volk für ein paar Jahre Frieden und Freiheit genießen können. Jesus aber wäre eine Episode in der Geschichte Israels geblieben.
Aber Jesus ist nicht gekommen, um die Leute damals von der Herrschaft Roms zu befreien und ihnen ein paar Jahre Frieden zu schenken. Jesus ist gekommen, um uns Menschen den Weg zum Leben zu zeigen.
Und von diesem Weg hat sich Jesus nicht abbringen lassen - auch nicht durch das Leiden. Und davon „profitieren" wir noch heute. Durch seinen Tod am Kreuz hat Jesus den Weg in den Himmel frei gemacht - nicht nur für die Menschen damals, auch für uns heute.
Wenn ich es mir recht überlege: Eigentlich gut, dass Jesus nicht auf die Wünsche der Leute gehört hat, sondern den Willen Gottes getan hat. Auch wenn das für die Menschen damals zuerst eine Riesenenttäuschung war.
Wahrscheinlich auch gut, dass Gott nicht alle meine „Hosianna - so hilf doch!"- Rufe erhört, sondern dass sein Wille geschieht. Er sieht mein Leben - nicht nur das Heute, sondern auch das Morgen und Übermorgen. Er hat den Überblick und wird auch mit mir zum Ziel kommen.
Vielleicht kann es mich ja trösten, wenn ich mich von der Geschichte des Palmsonntags erinnern lasse: „Wenn nicht das geschieht, was ich will, dann geschieht dennoch das, was gut für mich ist."

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