SWR2 Wort zum Tag
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„Wer sagt, es gibt sieben Wunder, hat noch nie die Geburt eines Kindes erlebt". Mit diesen Worten teilen Eltern ihren Angehörigen und Freunden die Geburt ihres zweiten Kindes mit. Freudig erstaunt fügen sie hinzu: „Wer sagt, diese Welt ist nicht mehr zu retten, hat vergessen, dass Kinder Hoffnung bedeuten".
Eltern haben ein Kind gezeugt und sein Entstehen und Werden bis zur Geburt begleitet, und sie empfangen das Kind zugleich als ein Wunder. Die sieben Weltwunder, die großartigen Leistungen im Verlauf der Menschheitsgeschichte, in Ehren - die Geburt eines Kindes übertrifft sie alle bei weitem. Ein Mensch, den es vorher noch nicht gab, beispiellos neu und einmalig, ist für die Eltern zum Gegenüber geworden. Sie werden das Wachsen dieses kleinen Geschöpfes weiterhin fördern und begleiten, und auch dabei immer wieder überrascht werden von dem Neuen, das mit einem Kind in ihre Welt getreten ist. Sie schenken ihm das Leben - und das Kind ist ihr größtes Geschenk. Erstaunlich, unglaublich, wunderbar ist dieses Zusammenspiel. „Es ist ein Wunder" sagt der Schweizer reformierte Pfarrer und Theologe Kurt Marti in einem seiner Gedichte:
es ist ein wunder
was ist ein wunder?
gezeugt zu werden
zu zeugen
geboren zu werden
zu gebären
gelebt zu werden
zu leben
geschaffen zu werden
zu schaffen
geträumt zu werden
zu träumen
geliebt zu werden
zu lieben
gebraucht zu werden
zu gebrauchen
gedacht zu werden
zu denken
gefühlt zu werden
zu fühlen
gestorben zu werden
zu sterben
es ist ein wunder
ist es ein wunder?
es ist
(aus: Kurt Marti: Leichenreden, München 2004, 11)
Leben ist von Anfang bis Ende, von der Geburt bis in den Tod hinein, lebendig im Zusammenspiel von Empfangen und Tun, es ist staunende Feststellung und immer neues Fragen. Das Wunder des Lebens ist wie ein Wort, das in der Schwebe bleibt, ein Satz, der nicht beendet wird, - so wie wenn wir staunen und zugleich warten, dass wir noch einmal, noch viele Male staunen dürfen.
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