SWR2 Wort zum Tag

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Man kann Bücher unter heiße Töpfe legen und unter wackelnde Tischbeine schieben. Wer aber auf die Idee kommt, sie aufzuschlagen, sie zu lesen, der entdeckt eine neue, wunderbare Welt. So wie Sophia. Drei Jahre ist sie alt. Und ich muss sagen: Selten habe ich mit einem Geschenk soviel Erfolg erzielt wie bei ihr. Sie nahm das Päckchen aus meiner Hand, ritsch, ratsch war das bunte Kinderpapier herunter und ein großes Strahlen in ihrem kleinen Gesicht: „Oh, ein Buch! Ein Buch! Danke!"
Mit den Büchern gibt man den Kindern einen Zauberschlüssel in die Hand. Eine wunderbare Parallelwelt tut sich auf, geeignet für Flucht, Expedition, Horizonterweiterung. Ein ewiger Vorrat von Balsam für Herzenswunden, und Stoff, aus dem die Träume sind.
Ich selber war fünf Jahre alt, als ich die Welt des Gedruckten für mich entdeckte. In der Bibliothek der Kirchengemeinde, direkt neben der Kirche. Ich reichte gerade an die untersten Regalbretter und war entzückt. So viele Bücher! Dass unsere Kirchengemeinde wie viele andere auch eine eigene Bibliothek betrieb, war von heute aus gesehen der pure Luxus. Aber genau betrachtet gehört es doch zum protestantischen Programm, in den Kindern die Liebe zum Buch zu wecken, die Leselust. Denn Martin Luther hat darauf bestanden: Jungen und Mädchen müssen lesen lernen. Luthers Hoffnung: Wer selber liest, urteilt selbst. Wer selber liest, lässt sich nicht alles erzählen. Wer lesen lernt, liest auch die Bibel, das Buch der Bücher. Darum sollte die Obrigkeit, der Staat, für Schulen sorgen. Das Gedeihen einer Stadt, eines Landes liege nicht allein darin, dass man schöne Häuser und Paläste baut, wichtiger sind Schulen, in denen die Kinder schreiben und lesen lernen. Den Eltern allein könne man den Unterricht für die Kinder nicht überlassen, schrieb der Reformator. Denn allzu viele Eltern würden sich einfach nicht um ihre Kinder kümmern und hätten selbst nichts gelernt „außer den Bauch zu versorgen".
     Martin Luther pries die Erfindung des Buchdrucks seinerzeit als Gottesgabe. Luther hatte dabei nur die Bibel im Blick. Aber Bücherfreunde und -freundinnen im Alter von drei bis dreiundneunzig sagen auch für alles andere Gute, was sich zwischen zwei Buchdeckeln befindet: „Oh, danke! Ein Buch!"  

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