SWR2 Wort zum Tag

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Jetzt strömen sie wieder zu Hauf in die großen Kathedralen und Dome, auch bei uns hier im Südwesten. Und manchmal frage ich mich, was führt sie eigentlich hinein? Ins Münster in Ulm oder Freiburg oder in den Dom in Speyer oder Mainz. All die Schulklassen und Ausflügler, die Touristen aus aller Herren Länder. Meistens viel zu laut für meinen Geschmack und trotzdem. Die meisten verhalten sich anders als draußen auf der Straße. Eine Art von Achtung und Ehrfurcht spürt man bei den meisten. Auch wenn sich viele nicht viel Zeit nehmen und wahrscheinlich wenig verstehen vom Bauwerk, den Bildern, Symbolen und dem Glauben, von dem diese Räume zeugen.
Vielleicht spüren sie trotzdem etwas von dem Geist und der kulturellen Kraft, die eine Kathedrale im Herzen unserer Städte darstellt.
Vielleicht ahnen sie es nicht nur, sondern suchen es sogar. Für mich liegt die Kraft und das Geschenk dieser Kathedralen in ihrer Weltfremdheit. Sie stehen inmitten unserer Städte, aber sie passen sich nicht bruchlos ein. Sie ragen heraus aus unserer Welt. Sind so etwas wie ein Stein gewordener Einspruch zu den säkularen Alltäglichkeiten, die unser Leben in Trab hält. In dem Roman „Nachtzug nach Lissabon“ von Pascal Mercier gibt es eine Passage, in der dieses Geschenk der Weltfremdheit wunderbar ausgedrückt ist.
"Ich möchte nicht in einer Welt ohne Kathedralen leben. Ich brauche ihre Schönheit und Erhabenheit. Ich brauche sie gegen die Gewöhnlichkeit der Welt. Ich will zu leuchtenden Kirchenfenstern hinaufsehen und mich blenden lassen von den unirdischen Farben...Ich brauche ihr gebieterisches Schweigen. Ich brauche es gegen das geistlose Gebrüll des Kasernenhofs und das geistreiche Geschwätz der Mitläufer..
Ich liebe betende Menschen. Ich brauche ihren Anblick. Ich brauche ihn gegen das tückische Gift des Oberflächlichen und Gedankenlosen. Ich will die mächtigen Worte der Bibel lesen. Ich brauche sie gegen die Verwahrlosung der Sprache und die Diktatur der Parolen.“

So weit das Zitat aus Merciers Roman. Kathedralen sagt er, sind erhaben, ihre Ruhe atmet einen anderen Geist als der der draußen herrscht. Sie geben Menschen Raum, in denen sie zu sich und zu Gott kommen können und die Worte der Bibel erklingen in ihnen. Kathedralen stehen in der Welt und ihr zugleich gegenüber und deshalb können sie ihr etwas schenken, was sie sich selbst nicht geben kann: Den Hinweis auf Gott und seine neue Welt.
Ich hoffe, dass diese Kraft alle belebt, die eine Kathedrale besuchen. Und vor allem, dass wir Christen diese Kraft mit hinaus nehmen, ins normale Leben. https://www.kirche-im-swr.de/?m=1269
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