SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Bestimmte Briefe kann ich nicht wegwerfen. Sie halten mir Menschen lebendig und auch Abschnitte des eigenen Lebens. Manche Zeitungsausschnitte hebe ich auf und natürlich Bücher, die mir ans Herz gewachsen sind z. B. noch aus der Schulzeit einen Band mit deutschen Gedichten. Ich besitze auch ein paar alte, zerfledderte Bibeln, die ich zwar selten in die Hand nehme, aber auch nicht „entsorgen" möchte.
Diese Erfahrung geht mir zur Zeit durch den Kopf, nachdem in Afghanistan amerikanische Soldaten Ausgaben des Koran verbrannt haben, sträflich gedankenlos oder mit der Absicht, Muslime zu beleidigen. Das ist empörend. Noch empörender ist die tödliche Gewalt, die sie ausgelöst haben. Daß Muslime eine solche Handlung als Gotteslästerung empfinden, ist einleuchtend. Das gibt aber niemandem das Recht, zur Vergeltung Menschen zu töten. Wo Sachen über Menschen gestellt werden, ist das nicht mehr fromm, sondern fanatisch. Ich möchte trotzdem fragen, warum das so ist, dass uns Menschen immer wieder Dinge heilig sind. Vor allem Bücher, Schriften, in Worte gefasste Erinnerungen. Und warum ist es so schlimm, wenn sich daran jemand vergreift?
Muslime verehren ihre heilige Schrift, den Koran, ganz besonders, er steht für sie für Mohammed, den Propheten selbst. Jüdische Gemeinden bewahren ihre heiligen Schriften mit großer Sorgfalt auf. Sie vernichten keines ihrer religiösen Bücher, auch wenn sie unbrauchbar geworden sind. Denn Texte, die die Schriftzeichen für den Gottesnamen enthalten, dürfen nicht einfach weggeworfen werden. Und auch wir Christen gehen ja ehrfürchtig mit unserer heiligen Schrift um, sie enthält für uns Gottes Wort in menschlichen Worten und im erzählten Leben und Glauben unzähliger Generationen. Schriftliche Zeugnisse können etwas symbolisieren, das uns Menschen heilig ist. Das nicht zerstört, entwürdigt, beschmutzt werden darf. Weder im persönlichen Bereich noch bei Staaten und Religionen. Hier müssen wir überall auf der Welt noch viel an Respekt und Fingerspitzengefühl lernen. Es ist fatal, dass dieser Respekt immer schwerer fällt, je fanatischer die verletzte Seite reagiert. In Afghanistan wurden Tage des Zorns ausgerufen, glaubwürdiger wären Tage der Trauer. Denn es ist traurig, wenn heilige Schriften Anlaß zum Haß sind, statt Brücken zum Gespräch: darüber, was uns heilig ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12621
weiterlesen...