SWR2 Wort zum Tag

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Brotkauf ist hierzulande fast schon eine Angelegenheit für Experten geworden: Wer in eine Bäckerei geht, muss sich auskennen. Die Vielfalt der Brotsorten ist verwirrend. Man sagt, das Sortiment sei nirgendwo so vielfältig wie in Deutschland. Da mutet die vierte Bitte des Vaterunsers etwas seltsam an: „Unser tägliches Brot gib uns heute" - Warum um etwas bitten, das derart selbstverständlich ist?
Brot ist ein Hauptnahrungsmittel. Im Blick auf die Grundernährung, auf das leibliche Wohl ist Brot elementar und unverzichtbar. Und so ist es auch gemeint in der vierten Bitte des Vaterunsers: das Brot, von dem da die Rede ist, ist gleichermaßen elementar wie sinnbildlich für alles, was zum täglichen Leben nötig ist.
Der Mensch ist ein Mangelwesen. Um leben zu können, müssen seine elementaren Bedürfnisse befriedigt sein - von Tag zu Tag. Daher steht die Bitte um Brot stellvertretend für alle anderen basalen Dinge unserer Bedürfnispyramide. Martin Luther zählt in seiner etwas altertümlichen Sprache auf, was dahinter stehen kann: „alles, was zur Leibes Nahrung und Notdurft gehört, Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromm Gemahl, fromme Kinder, gut Regiment, gut Wetter, Friede, Gesundheit" und so weiter.
„Unser tägliches Brot gib uns heute." - Für mich heißt das zunächst einmal: anerkennen, dass wir als Menschen lebensnotwendige Bedürfnisse haben. So hat uns Gott geschaffen: offen, mit einem ungestillten, täglich neu zu stillenden Bedürfnis. Und es heißt für mich: darauf vertrauen, dass Gott in dieser Welt bereithält, was wir zum Leben brauchen.
Solches Anerkenntnis, solches Vertrauen führt aber über den eigenen begrenzten Horizont notweniger Bedürfnisse und ihrer Befriedigung hinaus. Der Hunger nach dem, was zum Leben elementar gehört, endet ja nicht dort, wo meine Bedürfnisse befriedigt sind.
Das Brot, das im Überfluss in deutschen Bäckereien ausliegt, fehlt anderswo auf dieser Welt. Über eine Milliarde Menschen lebt unterhalb der Schwelle dessen, was zum täglichen Leben nötig ist. Und wenn ich für „Brot" einsetze: „unsere tägliche Arbeit", „unser tägliches Dach über dem Kopf", „unsere Heimat" gib uns heute, weitet sich das Blickfeld um ein Vielfaches. So wird aus der Bitte um das hierzulande so selbstverständliche Brot die gar nicht selbstverständliche Frage danach, was ich dazu tun kann, damit auch andere bekommen, was sie zum Leben nötig haben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12600
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