SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

27MRZ2012
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Viele junge Leute spielen gern Theater. Natürlich nicht alle. Manche gucken auch lieber zu, wie die anderen spielen. Und es gibt richtige Naturtalente unter ihnen. Mir macht es selbst Spaß, zu erleben, wie unbekümmert gerade jüngere Schüler in eine Rolle schlüpfen und sie mit Leben und eigenen Ideen füllen.
In meiner eigenen Schulzeit wurde auch oft Theater gespielt. Da gab es das mit viel Aufwand von der ganzen Schule inszenierte Musiktheater. Und dank einer großzügigen Spende verfügte unsere Schule über einen herrlichen Fundus an Kostümen. Was wurden da für Prinzessinnen, Hofdamen und Pagen eingekleidet! Aber auch im Deutschunterricht lernten wir nicht nur endlos lange Gedichte, sondern führten sie auch im Klassenzimmer auf. Den Zauberlehrling, der mit Besen und Putzeimer herumfuhrwerkte, sehe ich heute noch vor mir. Und im Englischunterricht wurden all die harmlosen Szenen aus dem Lehrbuch theatermäßig vorgeführt. Wer nicht mitmachte, guckte zu. Aber gelangweilt hat sich keiner. Etliche unserer Lehrerinnen waren Ordensschwestern, so auch meine Englischlehrerin. Im langen schwarzen Ordenskleid kletterte sie ganz unkompliziert vor uns Fünftklässlern aufs Lehrerpult und erklärte uns den Unterschied zwischen „on the desk" und „under the desk". Sie spielte Theater - auch wenn sie uns nur Vokabeln beibringen wollte. Erst viele Jahre später habe ich aber begriffen, warum das Theaterspielen an meiner Schule eine so große Rolle spielte. Wer Theater spielt, der eignet sich einen Stoff nicht nur mit dem Kopf, sondern mit Leib und Seele an. Das wussten vor allem die Ordensleute der Jesuiten und praktizierten es zu allen Zeiten. Und die englische Ordensgründerin Mary Ward hat sich an den Jesuiten orientiert, als sie ihren Schulorden gegründet hat. Zu ihren Lebzeiten schüttelte so mancher darüber den Kopf. Aber Mary Ward gab nicht auf. Weil ihr die gleichwertige Ausbildung der Mädchen ein Herzensanliegen war. Und sie setzte Theaterspielen sogar auf den Stundenplan. Einer ihrer Gegner warf ihr empört vor: „Sie lässt ihre Schülerinnen sogar Theater spielen und sich im freien Vortrag üben!" Mary Ward wusste warum. Und am Welttag des Theaters darf man sie ruhig mal dafür loben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12521
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