SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Vor ein paar Monaten wusste meine Mutter noch mehr. Nun fällt ihr Vieles nicht mehr ein. Vielleicht ja morgen wieder. Vielleicht aber auch nie mehr. Die Demenz ist auch in unsere Familie eingebrochen. Hat sich zuerst langsam eingeschlichen, dann immer schneller und unübersehbarer.
Dement. Das ist so ein Wort, dass ich erst mal langsam an mich heranlassen muss. Heißt es doch Abschied nehmen. Abschied von dem Menschen, wie ich ihn bisher kannte. Mehr als bisher muss ich jetzt zwischen den Worten lauschen. Was wollte sie eigentlich sagen? Was meint sie damit? Denn manchmal erscheint keiner ihrer Gedanken mehr einen Sinn zu ergeben. Dann ist es schwer, ihr zu folgen. Erlebnisse aus ferner Vergangenheit mischen sich untrennbar mit Dingen, die vor wenigen Stunden geschehen sind. Da tauchen Verwandte auf, die schon seit Jahrzehnten tot sind. Längst vergangene Welten werden mit einem Mal wieder lebendig. Nur für sie. Einen Rückweg aus dem Land der Demenz, das wissen wir, gibt es nicht mehr. Was mir da gelegentlich hilft ist ein anderer Blickwinkel. Der Sozialpsychiater Klaus Dörner hat ihn beschrieben. Demenz ist für ihn eine neue, eigene Phase unseres Daseins. So käme neben die Kindheit, das erwachsene Erwerbsleben und das Alter im Ruhestand noch jene der Demenz. Jede mit ganz eigenen, spezifischen Bedürfnissen. An der konkreten und oft belastenden Situation ändert das natürlich wenig. Doch es hilft mir, gelegentlich mal den Blickwinkel zu verändern. Nicht mehr nur den Verfall zu sehen, sondern diesen Menschen besser zu verstehen. In dieser neuen Weise seines Menschseins. So, wie er jetzt eben ist. Dement. Hilfebedürftig. Liebenswert.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12493
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