SWR2 Wort zum Tag

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Politiker sind keine Säulenheilige, sie sind auch nur Menschen. So hat SPD-Chef Sigmar Gabriel die Diskussionen rund um Bundespräsident Christian Wulff kommentiert. Ich frage mich aber schon, ob Politiker und Politikerinnen nicht auch als Menschen Vorbilder sein sollten?
Am vergangenen Sonntag ist in Wien eine Politikerin nicht heilig, aber „selig" gesprochen worden. Hildegard Burjan ist damit die erste Parlamentarierin überhaupt, die von ihrer Kirche offiziell zum Vorbild im Glauben erklärt wurde.
Hildegard Burjan wurde 1883 in Görlitz geboren. Sie war eine faszinierende Frau, eine kreative und leidenschaftliche Politikerin, die aneckte und doch auch andere mitziehen konnte. Ihr Leben lässt sich nicht anders als „ungewöhnlich" bezeichnen. Sie war ein Kind ihrer Zeit und doch in vielem auch ihrer Zeit voraus - kurz: eine sehr „moderne" Selige. 
Hildegard Burjan wuchs in einer liberal-jüdischen Familie auf und konvertierte als junge Frau zum Katholizismus - nach langer Krankheit und unerwarteter Heilung. Als eine von ganz wenigen Frauen hat sie in Philosophie promoviert und sich dann aber gegen eine akademische Karriere entschieden. Sie war mit einem Industriellen verheiratet und ließ sich doch von der sozialen Not ihrer Zeit anrühren. Unter anderem engagierte sie sich für die fast rechtlosen Arbeiterinnen in ihrer späteren Heimatstadt Wien. 
Nach dem ersten Weltkrieg zog sie für die christlich-soziale Partei ins Parlament der ersten Österreichischen Republik. Sie engagierte sich für Sozialgesetze, die vor allem die Lage der Frauen verbessern sollten. Hildegard Burjan war zwar immer eine loyale Katholikin, aber wenn sie es für richtig hielt, setzte sie sich auch gegen Widerstände des konservativen Klerus durch: etwa indem sie ein Wohnheim für ledige Mütter eröffnete. Im Jahr 1919 gründete sie eine Ordensgemeinschaft, die sie lange Jahre sogar leitete, obwohl sie verheiratet und Mutter war. Bis heute folgt diese kleine Schwesterngemeinschaft „Caritas socialis" dem Lebens-Motto ihrer Gründerin: Die Nöte der Zeit erkennen und sich in diese  auch hineinbegeben. Hinter Hildegard Burjans politischem Engagement stand ihr Glaube  Eine ihrer unerschütterlichen Lebensregeln hieß: „Volles Interesse für die Politik gehört zur Praxis des Christentum". Eine „Säulenheilige" war sie nicht. Aber in ihrem leidenschaftlichen politischen Tun sicher ein Vorbild. Gerade für heute.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12449
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