SWR2 Wort zum Tag

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Zu den eher wenig beachteten Gestalten in den Evangelien gehört der sogenannte greise Simeon. Von ihm sagt Lukas in der Kindheitsgeschichte von Jesus: „Er war gerecht und fromm. Er wartete auf den Trost Israels. Der Heilige Geist ruhte auf ihm." (Lk 2, 25)
Gerecht, fromm, das bedeutete zur Zeit Jesu: Ein Mensch nimmt seinen Glauben ernst und rechnet mit Gott in allem, was er unternimmt. Für Lukas ist an diesem alten Menschen, Simeon, wichtig - das hebt er besonders hervor: dass dieser Fromme und Gerechte gewartet und gehofft hat. Er wartete auf die Tröstung Gottes für sein Volk, und der Heilige Geist ruhte auf ihm. In diesen Zeilen fällt mir vor allem der Zusammenhang auf: Simeon wartet und hofft und er ist bewohnt vom Heiligen Geist. Menschen, die bei allem, was geschieht, und bei dem, was sie unternehmen, planen und verwirklichen, die Haltung des Wartens nicht aufgeben, die sind Menschen, auf denen der Geist ruht.
Da melden sich sofort die Bedenken: Nur warten? Abwarten, dass etwas geschieht? „Wir wollen nicht auf gut Glück und auf gut Wetter warten" - sagt Erich Kästner -„nicht auf den Zufall und den Himmel harren, nicht auf die politischen Konstellationen und die historische Entwicklung hoffen, nicht auf die Weisheit der Regierungen, die Intelligenz der Parteivorstände und die Unfehlbarkeit aller übrigen Büros. Wenn Millionen Menschen nicht nur neben-, sondern miteinander leben wollen, kommt es auf das Verhalten der Millionen, kommt es auf jeden und jede an, nicht auf die Instanzen. ... Wenn Unrecht geschieht, wenn Not herrscht, wenn Dummheit waltet, wenn Hass gesät ... Hilfe verweigert wird - stets ist jeder Einzelne zur Abhilfe mit aufgerufen, nicht nur die jeweils „zuständige" Stelle. Jeder ist mit verantwortlich für das, was geschieht, und für das, was unterbleibt. Und jeder von uns und euch muss es spüren, wann die Mitverantwortung neben ihn tritt und schweigend wartet. Wartet, dass er handele, helfe, spreche, sich weigere oder empöre, je nachdem." So Erich Kästner.
Also doch nicht warten? Nein: nicht so warten wie diejenigen, die sich aus der Verantwortung stehlen, sondern warten wie Simeon, der in seinem langen Leben nicht davon ablässt, mit Gott zu rechnen. Dieses Warten gibt der Empörung, dem Widerspruch, dem Helfen und Handeln einen längeren Atem. Es färbt all unser Tun gewissermaßen ein mit einer Gelassenheit, aber zugleich auch mit einer leisen Trauer: Wir werden die Welt nicht spürbar besser machen, wir werden die Gerechtigkeit, für die wir uns einsetzen, nicht erreichen. Aber wir wissen, dass es eine Tröstung für diese Trauer geben wird, dass ein anderer nämlich vollenden wird, was wir beginnen, anders und besser als wir es uns je werden vorstellen können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12382
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