SWR2 Wort zum Tag

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Als kleiner Junge habe ich einmal gewagt, in die katholische Kirche meiner Heimatstadt hineinzuschauen. Neugierig öffnete ich die Tür, sah den prächtigen Altar, die vielen Figuren, roch den Weihrauch - und fühlte mich in einer fremden Welt. Überdies hatte ich das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Schnell habe ich die Kirche wieder verlassen. In einer Spannung zu dieser Erfahrung der Fremdheit standen in der Schulzeit Freundschaften mit katholischen Altersgenossen, mit Klassenkameraden. Später, in der gymnasialen Mittel- und Oberstufe, haben sie mit einer ähnlichen, vom Glauben geprägten Grundhaltung mit Mitschülern und Lehrern diskutiert und haben mit ihrer Einstellung nicht hinter dem Berg gehalten. Erst später habe ich begriffen, was diese Erfahrungen in der Zeit der Kindheit und Jugend bedeuten: Das Gefühl, einer fremden Glaubenswelt zu begegnen, verändert sich, wenn man mit Menschen, die „anders" glauben, vertraut wird. Manches in der Welt, aus der sie kommen, bleibt zwar fremd, aber man entdeckt nun auch Gemeinsames, und das Fremde trennt nicht mehr. Die ökumenischen Erfahrungen während meiner Berufstätigkeit haben diese Erkenntnis erweitert. In den anderen Glaubensformen habe ich entdeckt, was meine Art, Gottesdienste zu feiern und den Glauben zu leben, erweiterte und ergänzte. Ich konnte mich bei ökumenischen Treffen, bei gemeinsamen Gottesdiensten einfühlen in nicht so vertraute Formen, mich an ihnen beteiligen und dabei eine tiefe Gemeinschaft mit denen erleben, die „anders" glauben. Ich begriff, dass wir einander in der Begegnung und auf der Ebene der Erfahrung ganz nahe sind und alles Trennende vergessen können.
Dürfen  wir das Trennende vergessen? Es gibt doch die Unterschiede bei dem, was wir und wie wir glauben! Können wir die Frage, was richtig oder falsch ist, also die Frage nach der Wahrheit des Glaubens einfach ausblenden! Für evangelische und katholische Christen ist es besonders das Verständnis der Kirche,  bei dem deutliche Unterschiede nicht zu übersehen sind und das die Kirchengemeinschaft verhindert. Dass wir nicht miteinander Abendmahl und Eucharistie feiern können, ist besonders schmerzlich. Es ist darum nötig, dass die Theologen an solchen Fragen intensiv weiterarbeiten. Aber die Basis für diese Arbeit sollte sein, dass Gemeinschaft und Einheit in der Verschiedenheit schon erfahren wird - offenbar weil die Basis für den gemeinsamen Glauben und das Leben im Glauben vorhanden ist und nicht erst geschaffen werden muss. Auf dieser Basis kann und muss es auch bei den Unterschieden im Verständnis des Glaubens Fortschritte geben. Und die Kirchenleitungen sollten ihnen Raum geben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12369
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