SWR2 Wort zum Tag

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„Nachdenken, ihr nach-denken. Dem Versuch, man selbst zu sein."
Solche Sätze lassen aufhorchen, bleiben im Gedächtnis, sind unverlierbar. Es sind Sätze von Christa Wolf, an deren Schreiben ich diese Woche erinnere. Sie stehen am Anfang des Romans „Nachdenken über Christa T."  Dieser Roman ist für mich wie ein Weg der Ermutigung zu sich selbst, Christa Wolfs Art des Nachdenkens macht Hoffnung auf Veränderung.
Was meint dieses Nach-denken, von dem Christa Wolf spricht? Es meint, vom Vergangenen, vom Gewesenen ausgehen, ihm nachspüren, weil es zu mir gehört und Spuren in mir hinterlassen hat.
So ist es auch in Christa Wolfs Roman. Im Nach-denken lässt Christa Wolf anhand von Tagebüchern, Briefen, Träumen, Gesprächen und erfundenen Episoden das Leben ihrer gestorbenen Freundin Christa T. auferstehen und gewinnt so im Prozess des Nach-denkens über sie auch ein neues Verständnis für das eigene Leben.
Beim Tod eines geliebten Menschen sind zunächst Trauer und Schmerz herzzerreißend. Im Nach-denken versuche ich zu bewahren, was mir der Tod nicht nehmen kann. Ich lasse Bilder in mir aufsteigen, rufe mir Erlebtes, Erfahrenes, gehabtes Glück zurück. Ich begebe mich damit auch in eine Zeit zurück, die vielleicht vom Vergessen verdunkelt ist. Ich spüre ihr nach, will sie für meine Gegenwart bedenken, mir vielleicht neu aneignen. So wird Nach-denken sinngebend auch für mein Leben.
Nach-denken - das gehört seit alter Zeit zu Religionen und ihrer Überlieferung. So sehe ich Geschichten im Alten und im Neuen Testament. Viele dieser Geschichten fordern in ihrer Bedeutung zum Nachdenken auf. Sie sind von Generation zu Generation überliefert worden und so im Gedächtnis geblieben.
Ich denke zum Beispiel an Maria Magdalena. Johannes erzählt von ihrer Trauer nach Jesu Tod. Am Ostermorgen kommt sie zum Grab und findet es leer. Ihr erscheint der Auferstandene. Er schickt sie auf den Weg des Lebens. Dieser Weg weist bei Johannes wie bei Christa Wolf auf die enge Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart hin. Maria Magdalena begreift am Ostermorgen, dass Jesu Tod nicht das Ende seines Lebens ist, sondern ein neuer Anfang. Aus der Dunkelheit des Todes wird ihr etwas licht, was ihr Kraft und Hoffnung zum Leben gibt. Sie sagt  Auferstehung weiter. Sie erzählt von Jesus und bewahrt für sich und andere das Nach-denken an ihn. Über Jesus, sein Leben, Sterben und Auferstehen nach-denken, ist bis heute ein Weiterdenken gegen das Vergessen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12361
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